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Tresor

© David Heerde

Nachtleben: Tiefdruckgebiet

Seit die Gesundheitsministerkonferenz erwägt, Lautstärken gesetzlich zu beschränken, können sich Clubbetreiber nicht mehr durch Lärm hervortun. Sondern durch ein gutes Schallklima. Das soll auch die Aggressivität mindern.

Im zwölften Stock ist die Aussicht prächtig. Drei Fensterfronten lassen das Weekend am Alexanderplatz zur Kanzel werden, die über den Lichtern der Stadt schwebt. Nur, wer die Augen schließt und seinen Ohren traut, merkt, dass hier etwas nicht stimmt. Das Glas der Fensterscheiben lässt die Technomusik klingen, als käme sie aus einer Blechbüchse. Die Bässe wummern kräftig, doch in der Mitte fehlt Volumen und die Höhen zischen böse. Es ist, als wolle der Klang mit Gewalt in den Körper eindringen. Vielleicht liegt es also gar nicht an den vielen Touristen und statushungrigen Jugendlichen, dass die Stimmung im Weekend oft etwas angespannt ist. Bei dem Klang kann man nicht entspannen.

„Der Klang bestimmt, wie wir uns fühlen“, sagt Wilson Willsingh. Der Dozent für technische Akustik beschäftigt sich mit der Gestaltung von Tonstudios. Seine nächsten Projekte sind allerdings ein neues Medienzentrum in Moskau und eine unterirdische Hochgeschwindigkeitsstrecke in Seoul. In immer mehr Bereichen sind Lärmbändiger wie Wilson gefragt. Es ist nämlich schrecklich laut geworden. Die Dauerbeschallung beim Einkaufen, mp3-Handys in der U-Bahn, die Geräuschkulisse der Stadt lässt einen immer weniger abschalten. Und viele suchen, so verrückt das klingt, nach einer harten Woche Erholung in einer harten Nacht. Vor dreißig Jahren war es noch normal, zwei Stunden in der Disko zu bleiben. Heute sind es fünf. Technotänzer verbringen wach mehr Zeit im Club als zu Hause. Was sagen die Ohren dazu? Fiep.

340.000 Neuerkrankungen an chronischem Tinnitus zählt die Deutsche Tinnitus-Liga Jahr für Jahr. „Vor allem bei jungen Menschen steigt die Zahl stark“, sagt Birgit Mazurek, die das Tinnitus-Zentrum der Charité leitet. „Manche hören schon mit zwanzig so schlecht wie ein Vierzigjähriger.“ Häufig sind Diskobesuche die Ursache. „Ab 85 Dezibel ist es für das menschliche Ohr schon viel zu laut“, warnt die Medizinerin. In Clubs sind 100 Dezibel und mehr, was einem Presslufthammer entspricht, völlig normal. Anders als zum Beispiel in der Schweiz gibt es in Deutschland bislang keine gesetzlichen Vorgaben. Ohropax helfe wenig, sagt Mazurek und rät, sich beim Hörgeräte-Akustiker einen individuellen Hörschutz anpassen zu lassen. Oder noch besser: „Nicht lange in die Disko gehen, am besten überhaupt nicht.“

Ein Warnruf, der auf abgestumpfte Ohren stößt. Partykultur ist ohne Selbstzerstörung nicht zu haben, ärztlicher Rat nicht gefragt. Wer nachts loszieht, will Geschichten erleben, will von etwas erfasst werden, das größer ist als er selbst.   Wie im Tresor. Die neuen Räume des legendären Technoclubs im alten Heizkraftwerk in der Köpenicker Straße verheißen eine unterweltliche Erfahrung. Tief unten im Keller, am Ende eines Gangs, durch den blaue Blitze jagen, führt eine kleine Stahltür in einen Raum mit tief hängender Decke. Vor einer Wand aus Subwoofern – so heißen Boxen, deren Töne so tief sind, dass man sie mehr spürt als hört – zucken Körper zu wummernden Beats. „Wn wn“, macht es, und: „brm brm“. Die Bässe wühlen sich tief in den Magen.

Der Club war schon immer für seinen Klang berühmt. Im Tresorraum des alten Wertheim-Kaufhauses an der Leipziger Straße, wo er 1991 eröffnete, schufen meterdicke Betonwände den besonders trockenen „Tresor-Sound“, wie er bald unter DJs hieß. Betreiber Dimitri Hegemann lernte, wie wichtig die Akustik ist, „mindestens so wichtig wie das Soundsystem“. So ließ er in den neuen Räumen auf der oberen Tanzfläche erst mal Holz verlegen, bevor die Boxen kamen.

Was man im Tresor hört, ist Krach. Aber äußerst kultivierter Krach. Die massiven Bässe sind bestimmend, doch auch in den Höhen und Mitten herrscht ein prägnanter Klang. Marc Peemöller von der kleinen Hamburger Firma Totec hat das Soundsystem entwickelt. Er erklärt, warum im Clubbereich die kleinen Tüftlerschmieden den Ton angeben: „Die Musik hat sich verändert. Noch vor zehn Jahren war das Frequenzspektrum anders zusammengesetzt.“ Die großen Hersteller kämen da nicht hinterher, denn „die gehen nicht in die Clubs.“ Neben der Betriebssicherheit, die gewährleistet, dass die Anlage nach acht Stunden Dauerbelastung nicht überhitzt, ist es vor allem das eigene Ohr, das einen Entwickler von anderen abhebt: „Wir designen immer nach unserem persönlichen Geschmack.“ Man darf sich Peemöller also nicht nur als Techniker denken. Seine Arbeit gleicht der eines Instrumentenbauers.

Guter Klang definiert sich nicht durch die Lautstärke, sondern durch das Verhältnis zur Stille. Niemand weiß das besser als Wilson Willsingh, selbst ein Mensch von buddhistischer Ruhe. Vielleicht hat er die von seiner indischen Herkunft. Wenn er von „der Herstellung des Trancezustands auf der Tanzfläche“ spricht, klingt er wie ein Therapeut. In gewisser Weise ist er das auch. Wilson hat selbst einen Club konstruiert, Raumklang heißt er und befindet sich in Friedrichshain. Zweieinhalb Jahre hat das gedauert. Der ganze Raum lagert auf 6000 Stahlfedern. Dadurch dringt kein Ton nach draußen und in den Wohnungen darüber können Leute schlafen. „Der Lärmschutz ist das Erste, um das sich ein Club kümmern muss“, sagt Wilson. „Dann muss der Raum akustisch ausgeleuchtet werden, bevor es sich lohnt, an ein teures Soundsystem zu denken. Sonst wäre das, wie ein tolles Gemälde in eine Dunkelkammer zu hängen.“ Acht Schallabsorberplatten hängen an den Wänden, für jede hat Wilson eine eigene Zusammensetzung aus Blech, Schaumstoff und Folien berechnet.

Auch das Soundsystem hat der Akustiker eigens entwickelt. Als Hochtöner wurden Biegewellenwandler mit Kristalloberfläche verwendet, die anders als herkömmliche Lautsprechermembranen kaum Überlagerungen verursachen. Die Signale erreichen das Ohr so präzise wie möglich. Das Ergebnis ist umwerfend. Ein transparenter Klang in jedem Frequenzbereich, jede Soundschicht ist klar zu unterscheiden. Hier zu tanzen gleicht einem Bad.

„Viele DJs beschweren sich, es sei ihnen zu leise“, erzählt Betreiber Stefan Reinhardt amüsiert, „dabei ist es bei uns so laut wie woanders, nur der Druck auf dem Ohr, an den man sich schon gewöhnt hat, fehlt.“ Was das für die Clubatmosphäre bedeutet: „Die Aggression sinkt“, sagt Wilson, „vor allem Frauen fühlen sich wohler.“ Der größte Vorteil: Kein Fiepen am Tag danach, die Gefahr von Hörschäden sinkt. „Spaßfaktor und Gesundheit schließen sich nicht aus“, ist Wilsons frohe Botschaft.

Klar, Klang ist nicht alles. Das Raumklang wird nie die mythische Ausstrahlung eines Tresor erreichen. Es ist mehr ein Labor, das zeigt, wie es gehen könnte. Seit die Gesundheitsministerkonferenz erwägt, Lautstärken gesetzlich zu beschränken, können sich Clubbetreiber nicht mehr durch Lärm hervortun. Sondern durch ein gutes Schallklima. Welche Rolle dabei der Raum spielt, lässt sich auch im Weekend hören: Die neue Lounge drei Stockwerke höher klingt glasklar und warm – obwohl die Anlage vom selben Hersteller stammt. „Die Sensibilität für Akustik wird allgemein wachsen“, ist sich Wilson sicher. Vielleicht werden dann alle etwas entspannter.

Kolja Reichert

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