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Stadtleben: Paulchen hat den Sound

Jazzmusiker, Bandleader, Sänger: Paul Kuhn, der Hesse, den alle für einen Berliner halten, feiert 80. Geburtstag – auf der Bühne

Von Susanne Leimstoll

Na gut, das Skifahren hat er aufgegeben vor drei, vier Jahren, nach einem Sturz auf der Piste in seiner Schweizer Wahlheimat. Das stinkt ihm heute noch, aber er hatte gehört, die häufigste Verletzung nach Skiunfällen seien gebrochene Daumen. „Und ohne die kann ich nicht Klavier spielen.“ Damals hatte er einen riesigen Eisbrocken mitten auf der Piste nicht gesehen – weil er eben nicht mehr gut sieht. Grüner Star. Das rechte Auge ist momentan außerdem zugeschwollen. Ausgerechnet jetzt, ein paar Tage vor dem Tourneestart. Paul Kuhn, der Allrounder unter Deutschlands Entertainern, der Pianist, Jazzmusiker, Bandleader, Sänger, hat eben einen Klinikaufenthalt in Essen hinter sich, zur Nachbehandlung einer Gürtelrose. Die Krankheit hat ihn geärgert, die kam so aus dem Nichts. Aber der kleine Mann, der große Musiker, wirkt, als könne ihn das nicht umwerfen. „Mir geht es gut“, sagt er mit Nachdruck. „Na, den Achtzigsten will man ja doch feiern können!“ Und zwar auf der Bühne, so hat er sich das gewünscht. Da hält ihn keine Gürtelrose ab. Einen Herzinfarkt samt Bypass-Operationen vor drei Jahren hat er ja auch weggesteckt. „Man muss weitermachen“, sagt er hastig. „Immer weitermachen, weitermachen.“

Also schenkt er sich eine Geburtstags- Tournee mit 19 Stationen in Deutschland. Einen Monat lang, vom 7. März bis 5. April. Drei „Tryout“-Konzerte als Vorlauf in kleineren Städten, und dann der offizielle Auftakt zu seinem 80. Geburtstag am 12. März im Kurhaus seiner Heimatstadt Wiesbaden. Denn „Paulchen“, den alle Welt immer für einen Berliner hielt, vielleicht, weil er schon als achtjähriger Junge als Gewinner eines Musikwettbewerbs einen Fernsehauftritt auf der Funkausstellung hatte und später ein Dutzend Jahre in Berlin lebte, ist Hesse. „Ei freilisch kann isch Hessisch babbele“, sagt er. „Hör mer uff, du!“

Berlin ist als Tournee-Station gleich mit zwei Abenden dabei: am 26. und 27. März, Großer Sendesaal des RBB. Think big, der „Mann am Klavier“ kommt schließlich nicht alleine. Er bringt die beiden aus seinem Trio mit – Martin Gjakonovski am Bass und Willy Ketzer am Schlagzeug – und zudem eine Allstar-Formation, „The Best“. Könner mit großen Namen, allesamt Jazz-Musiker aus Big Bands, wie denen von Bert Kaempfert, Kurt Edelhagen, Peter Herbolzheimer, einige von ihnen Bandleader oder Dozenten an Musik-Hochschulen: Ack van Rooyen (Trompete), Jiggs Whigham (Posaune) Peter Weniger und Gustl Mayer (Saxofon) Claus Reichstaller (Trompete), Tom Wohlert (Gitarre). Und außerdem das Filmorchester Babelsberg, die große Streicher-Besetzung. „Ein warmer Sound“, sagt Paul Kuhn mit seiner weichen Stimme. „Eine warme Streicherfarbe, die braucht man doch. Das ist doch wunderbar!“

Natürlich, sagt er, und seine rechte Hand wedelt und zeigt nach draußen, und die Augen in dem Gesicht, in dem alles nach unten strebt, werden schmal, und er spitzt den Mund verächtlich, natürlich gebe es welche, die sagen: ach, Jazz und Streicher, das passt doch nicht. Aber was scheren ihn die von der Jazz-Polizei? Sollen die Kritiker doch ihre Glaubenskriege über richtig und falsch austragen. „Alles dummes Zeug“, sagt Paul Kuhn. Musik ohne Melodie geht nicht. Der Jazz als Stilrichtung ist für ihn ohnehin abgeschlossen. Da kommt nichts Neues mehr. „Das ist die Musik des 20. Jahrhunderts.“

Immerhin, ein neues Publikum hat sie gefunden, es gehen jetzt wieder junge Leute in die Konzerte. „Die finden, das ist Leben, Musik ohne doppelten Boden.“ Und es gibt Nachwuchs unter den Jazzern, gute Bands. „Ab und zu brauchen die große Namen. Dann holen sie den Hugo Strasser oder mich.“

Der Swing, der Jazz, das ist Paul Kuhns große Liebe. Dafür stand er immer, obwohl er Schlager gesungen hat in den 50ern und 60ern, als es „kein Bier auf Hawaii“ gab. Obwohl er den Entertainer gab in Fernsehsendungen wie „Pauls Party“ oder „Hallo Paulchen“ oder mit Harald Juhnke in Sketchen den Angesoffenen mimte. Zwölf Jahre lang, von 1968 bis 1980, leitete er in Berlin die SFB-Bigband, ehe er sein eigenes Orchester gründete, in der Zeit des großen Bigband-Sterbens, als die Sender ihre fest angestellten Orchester entließen. Da war der Jazz eine Nische, die sich die Musiker gönnten und von den großen Amerikanern, die auf Stippvisite kamen, von einem Lalo Schifrin oder Mel Lewis, lernten oder von denen, die in Deutschland blieben und die bestehenden Bigbands verstärkten. „Die Plattenindustrie sagte damals, Jazz verkauft sich nicht“, sagt Paul Kuhn. Aber Schlager orchestral nachzuspielen, das war Mist, hat keinen Spaß gemacht. Die Bands mussten es trotzdem, in Fernsehshows, auf Bällen, für LPs. Doch dem Big Band-Jazz blieben sie treu – wie Kuhn.

Mit Paul Kuhn reden heißt über Musik reden. Die ganze Zeit. Musik, das ist alles für ihn. „Alles!!!“, sagt er. „Das Schönste, was es gibt.“ Jetzt wird er 80, und lebt diese Liebe immer noch jeden Tag. „Ich kann machen, was ich mein Leben lang getan habe, gutes Geld verdienen, mit guten Leuten spielen.“ Und es geht ihm immer noch ans Herz, wenn er auf der Bühne einen gefühlvollen Song intoniert oder wenn er sich die ganz Großen anhört. Dazu fällt ihm ein: 1993, Frank Sinatra in Köln. „Ein Juniabend, die Bühne in rosa Licht getaucht, denn die Sonne ging gerade unter. Ich war gespannt, wie er beginnen würde. Und dann kam er raus und sang, die Band easy going: I’ve got the world on a string . . .“ Paul Kuhn singt das vor, wie Musiker das tun: leichtes Schulterwiegen, die Arme angewinkelt, die Finger schnippen den Takt, ein Lächeln auf den Lippen. „Da liefen mir damals die Tränen“, sagt er.

Für die anstehende Tour brauchten er und die Musiker nicht lange zu proben, ein bis zwei Mal. Einen Tag vor Tourbeginn treffen sie sich nochmal, das genügt. „Das sind alles gute Notisten“, sagt er. Er selbst braucht die Noten nicht. „Ich spiele das auswendig, ich habe das ja selbst geschrieben.“ Er könnte ohnehin kaum etwas erkennen. Die Augen . . . Seine Frau Ute Mann, früher Chefin der Ute Mann-Singers, ist immer dabei. „Ich brauch’ doch jemand, der sich um mich kümmert“, sagt er. Natürlich komponiert er noch und arrangiert. Aber er spielt das auf dem Keyboard, und ein Mitarbeiter druckt es aus. Geht heute alles, per Computer. An der feinen Goldkette um den Hals hängt eine Lupe, für Fälle, in denen er mal ganz genau hinschauen muss. Wie eben jetzt, wo er auf die Uhr sieht und erkennt, dass das Gespräch mit dieser Redakteurin schon 60 Minuten dauert.

Wird das seine Abschiedstournee? „Wer weiß“, sagt er, „die Achtzig ist schon eine magische Zahl. Ich kenne nicht viele Leute, die die Neunzig erreicht haben.“ Aber was soll’s, bloß nicht dran denken. Paul Kuhn lächelt, sieht zum Ausgang, die Finger spielen auf der Tischdecke Klavier, als er sagt: „Wenn der Sensenmann kommt und steht in der Tür, dann frag’ ich, ja, was ist? Und denke: weiterspielen, weiterspielen, einfach weiterspielen.“

„Paul Kuhn 80 – As time goes by“: Dienstag, 26. März und Mittwoch, 27. März, 20 Uhr, Großer Sendesaal des RBB. Tickets von 29 bis 46 Euro an allen Vorverkaufsstellen oder unter Tel. (0180) 54470

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