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Stadtleben: Rattle hebt Schüler in den Klanghimmel Sir Simon dirigiert Berliner Schulorchester

„Es ist Beethoven – nicht Frühstück!“, ruft Simon Rattle den Celli seines Orchesters zu.

„Es ist Beethoven – nicht Frühstück!“, ruft Simon Rattle den Celli seines Orchesters zu. Aber das sind an diesem Samstagmittag nicht die Philharmoniker. Stattdessen haben sich im Großen Saal der Philharmonie Musiker aus fünf Berliner Schulorchestern (aus Reinickendorf und Charlottenburg, Britz, Tiergarten und Lichtenberg) zusammengefunden, um mit Sir Simon zu proben.

Doch zunächst präsentiert jedes Orchester Stücke aus seinem Repertoire. Einen spritzigen Presto-Satz von Haydn bietet das Orchester des Britzer Albert-Einstein-Gymnasiums. Luftig leicht gerät die sentimentale Sarabande von Benjamin Britten, die das Orchester der Schostakowitsch-Musikschule Lichtenberg spielte. Sensibel interpretieren die Streicher des Canisius-Kollegs die Elegie aus einer Serenade von Peter Tschaikowsky.

Das Orchester des Friedrich-Engels-Gymnasiums hat ein eigenwilliges Programm zusammengestellt: Nach einer süffigen Chaconne von Henry Purcell versprüht ein „Original Charleston“ Flair der 20er Jahre. Die größte Besetzung bietet das Charlottenburger Erich-Hoepner-Gymnasium auf. 55 Schüler führen eine Bearbeitung von Hector Berlioz’ „Gang zum Richtplatz“ auf.

In der zweiten Hälfte kommt die Stunde des Musik-Motivators Rattle, der seine unschuldigen Opfer in eine Beethoven-Erfahrung stürzt, die sich gewaschen hat. Der Maestro trägt bequemes Schuhwerk und ein lässig heraushängendes graues Leinenhemd. „Also, spielen wir...“, ruft er und beginnt den jubelnden Finalsatz von Beethovens Fünfter. Die Antwort des Orchesters fällt dementsprechend enthusiastisch, mitreißend, geradezu himmelstürmend aus. Zunächst stört sich Rattle auch nicht daran, dass das Tempo in Teilen des Klangkörpers etwas anzieht. Er zurrt es bei Gelegenheit einfach wieder an. Doch bald eilen die Streicher wieder, die Flöten kommen kaum hinterher. Rattle senkt die Arme: „Nicht schlecht, aaaber...“ Er sagt das mit einem Lächeln und erinnert die Schüler daran, dass sie Beethoven spielen: „Wir brauchen etwas mehr Mut.“ Auf keinen Fall dürfe die Fünfte wie Tony Blair klingen: nicht diplomatisch abwiegelnd, sondern stolz und entschieden!

Ein Wechselbad der Gefühle bereitet Rattle den jungen Musikern. Nachdem er ihnen mit Beethovens Energie eingeheizt hat, verlangt er auch noch Gefühl. In die begeisterten Augen mischt sich eine Spur Respekt und Grausen vor dem dämonischen Musiker. Aber in einigen Momenten entsteht so echter Suspense im Orchester. Später ruft er, indem er mit dem Finger auf das Publikum zeigt, in reizendem Denglisch aus: „Sie müssen Angst haben, nicht uns!“ Das Publikum quittiert’s mit Amüsement. Matthias Nikolaidis

Matthias Nikolaidis

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