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"Alphabet der Stadt": René Hamann enthüllt die Seele Berlins

Ach, schön: Berlin, ironisch betrachtet. Die Stadt in kleinen Stücken, aber nicht in 93 Stadtteilen, durch die der Lokalpatriotismus röhrt, sondern fragmentiert.

Einer fährt los, ganz offen, spürt den Fahrtwind in der S-Bahn, landet irgendwo, sieht sich um, wundert sich. René Hamann heißt er und hat Berlin kleinteilig neu entdeckt in seinem „Alphabet der Stadt“. Der Titel des Buches ist das Biederste daran. Der Inhalt beweist, dass man mit radikalem Schreibermut Berliner Orte, Teile, ganze Bezirke zugleich wieder- und neuerfinden kann.

Eigentlich, denkt man, ist zu Berliner Bezirken alles von allen gesagt, die Sätze nach Subjekt, Prädikat, Objekt sortieren können. Aber Hamanns Buch ist so schön kühl, lakonisch, uneitel und – Danke! Danke! – frei vom regierungsamtlichen und berlintourismusmarketingmäßigen Hype, dass man diese spröde spannende Stadt wiedererkennt hinter allen Be-Berlin-Fassadendekorationen. Hamann mag Berlin, das ist zu spüren – gerade in den Texten, die von weniger poppigen Berlin-Teilen handeln: „Vielleicht ist Lichtenberg auch nichts als ein an einen Balkon geklemmter Miniatur-Weihnachtsmann. Eine Straße mit älteren, freundlichen Menschen, die sich gegenseitig über die Stufen zu den Arztpraxen helfen.“ Oder der hohe Nordwesten der Stadt, die Invalidensiedlung: „Ein Schild warb für ein Bestattungsunternehmen: 100 Jahre Bestattungen Schwarz. Eine Dame kam aus Brandenburg geradelt und sagte mehr zu sich selbst als zu irgendwem sonst: ,Warum regnet es, wenn ich eine kleine Runde drehe?’“

Ach, schön: Normal-Berlin, Anti-Klischee-Berlin. René Hamann hat in ein Büchlein gepackt, was er textweise in einer kleinen feinen Tageszeitung veröffentlichen konnte. Dazwischen stehen ein paar sehr schöne, genauso uneitle, aber romantische Texte, die von dem handeln, was der Großstadt-Single in der Großstadt voll entwickelt und leicht misshandelt findet: seiner Seele. Jetzt und hier, unter grau- blauem Himmel.

— René Hamann: Das Alphabet der Stadt. Verbrecher Verlag, Berlin. 119 Seiten, 13 Euro.

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