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Stadtplanung: Berlin könnte Vorbild für Klimafreundlichkeit werden

Berlin als größte deutsche Metropole könnte zum Modell werden für klimafreundliche Versorgung. Doch andere Städte sind bereits weiter.

Für die Sehenswürdigkeiten zu seinen Füßen hat Mike Kess keine Augen. Nicht für die Reichstagskuppel, nicht für die Quadriga auf dem Brandenburger Tor, nicht für den Tiergarten. Er ist mit dem Aufzug den Fernsehturm hinaufgefahren, um nach einem grauen Klotz Ausschau zu halten. "Sehen Sie am Horizont das Gebäude mit dem rauchenden Schornstein? Das ist das Kraftwerk Klingenberg", sagt er. "Das würden sie gern durch ein monströses Kohlekraftwerk ersetzen. Dann kann Berlin seine Klimaschutzziele vergessen."

Mit "sie" meint Kess Vattenfall, den marktbeherrschenden Energieversorger. Als sich herumsprach, dass das Unternehmen eine neue 800-Megawatt-Anlage in Rummelsburg erwägt, gründete er mit 20 anderen eine Bürgerinitiative. "Ausgerechnet Kohle wollen sie dort verfeuern, den klimaschädlichsten Brennstoff", sagt er. "Dagegen musste man doch was unternehmen." Und so betreibt Kess, ein PR- Berater mit Fünf-Millimeter-Frisur, nun auch nach Feierabend Öffentlichkeitsarbeit. In 204 Metern Höhe rechnet er vor, dass "ein solches Kraftwerk ein Fünftel der CO2-Menge erzeugen würde, die Berlin heute ausstößt".

Inzwischen stemmt sich eine Allianz gegen das Vorhaben, die von der linken Umweltsenatorin bis zur IHK reicht. Die einen bangen ums Weltklima, andere fürchten steigende Energiepreise, sollte Vattenfall seine Marktmacht ausbauen. Die Debatte dürfte sich zuspitzen: Bis März will der Konzern ein Energiekonzept für Berlin vorstellen, das auch Pläne für Klingenberg enthalten soll. Längst ist klar, dass es dabei letztlich um die Grundsatzfrage geht, woraus Berlin künftig seine Lebensenergie schöpfen soll. Darum, wie man eine Millionenstadt am besten mit Strom und Wärme versorgt.

Berlin sollte mit gutem Beispiel vorangehen

Um den Klimawandel zu bremsen, hat der Bundesumweltminister den Deutschen ein hehres Ziel gesteckt: 2050 sollen sie gegenüber 1990 nur noch ein Fünftel der Treibhausgase ausstoßen. "Metropolen spielen dabei eine zentrale Rolle", sagt Hans Hertle, der am Institut für Energie- und Umweltforschung kommunale Klimaschutzstrategien entwickelt. "Wo Menschen dicht zusammenleben, lassen sich Treibhausgase leichter vermeiden." Eigentlich sollte Berlin als größte deutsche Stadt mit gutem Beispiel vorangehen. 3,4 Millionen Menschen leben hier, im Schnitt verursacht jeder etwa sieben Tonnen CO2 im Jahr. Rund drei Viertel davon entstehen bei der Erzeugung von Strom und Wärme. Kohlekraftwerke decken zwei Drittel des Strombedarfs und versorgen mehr als 300 000 Haushalte und viele öffentliche Gebäude mit Fernwärme. Ginge es nach Vattenfall, sollte sich das auch nicht grundlegend ändern. Zwar erzeugen moderne Gaskraftwerke - wie das in Mitte - kaum halb so viel CO2. Da Kohle aber billiger und leichter verfügbar ist, sei sie unentbehrlich, argumentiert Vattenfall. Und das CO2 lasse sich mit der Zukunftstechnik CCS (Carbon Capture and Storage) in einigen Jahren auffangen und unterirdisch lagern.

In Kess' Idealvorstellung hat Kohle trotzdem keinen Platz. Er schaut auf die Stadt. Läge sie ihm tatsächlich zu Füßen, würde er nicht nur auf Kohle verzichten, sondern auch gleich auf die großen Kraftwerke. Hausbesitzer würden ihre Energie selbst erzeugen. Miniwindräder würden auf den Plattenbauten im Osten rotieren, Blockheizkraftwerke in Zehlendorfer Kellern Biogas verfeuern. "Und auf der Passage da unten würden sich Sonnenkollektoren prima machen."

Der Sprecher der Bürgerinitiative und der Energiekonzern - sie stehen für zwei gegensätzliche Philosophien moderner Energieversorgung: viele kleine Kraftwerke oder wenige große? Gibt es genug erneuerbare Energien, oder hängen wir weiter von Kohle, Öl und Erdgas ab?

Es geht auch ohne Pipeline

"Auch 2050 werden wir wohl nicht auf fossile Energieträger verzichten können. Und Großkraftwerke sind nicht prinzipiell zu verteufeln, wenn sie wie in Berlin Strom und Wärme zugleich erzeugen", sagt Hertle. "Künftig kommt es darauf an, zentrale und dezentrale Anlagen, fossile und regenerative Energie clever zu kombinieren." Doch das ist kein Freibrief für Kohlekraftwerke. Laut der vom Bundesumweltministerium veröffentlichten Leitstudie 2008 dürfte in ganz Deutschland keine einzige Anlage mehr geplant werden, wenn das Klimaschutzversprechen gehalten werden soll. "Selbst wenn man CO2 eines Tages unterirdisch loswerden könnte, ist die Großstadt für diese Technik sicher nicht der beste Standort", sagt Felix Matthes vom Öko-Institut in Berlin. Denn dafür müsse eine CO2-Pipeline verlegt werden. Die könne zumindest theoretisch Leck schlagen und Anwohner gefährden. "Es würde sicher große Akzeptanzprobleme geben."

Wie es ohne Pipeline geht, zeigt Hammarby Sjöstad, ein Öko-Stadtteil im Süden Stockholms. Fast täglich spazieren hier Besucher aus aller Welt entlang. Sie staunen über große Südfenster, an denen die Vorhänge fehlen, so dass die Sonne die Zimmer aufheizen kann. Sie lassen sich die Brennstoffzelle zeigen, die Solaranlagen und das unterirdische Rohrsystem, durch das Abfall mit Tempo 60 zur Sammelstelle gesaugt wird. Alles scheint bis ins letzte Detail durchdacht. Irgendwann landen die meisten Besucher in dem großen Glaskubus, der Gemeindezentrum und Touristeninformation zugleich ist. Dort beugt sich die Pressesprecherin Malena Karlsson über ein Modell des Viertels, das wie ein Schlachtplan aussieht. Die farbigen Linien symbolisieren allerdings keine Fronten, sondern Energiekreisläufe.

Ein Vorbild für Berlin?

"Fast die Hälfte unseres Bedarfs decken wir aus eigener Kraft", erklärt sie. Die Energie stamme aus Solaranlagen, der Biomüllverbrennung "und natürlich aus Abwasser". Karlsson deutet auf ein verglastes Loch im Fußboden, durch das eine rote Pumpe zu sehen ist. Die lässt alle paar Minuten den Kubus erzittern, wenn sie das Abwasser des Viertels zur Kläranlage transportiert. Dort wird zuerst Biogas aus dem Klärschlamm gewonnen. Danach fließt das gereinigte Wasser zum Heizwerk, wo ihm Wärmetauscher die Hitze entziehen und sie ins Wärmenetz einspeisen. Schließlich wird das kalte Wasser in das städtische Kühlnetz gepumpt. "Wir verschenken kein bisschen Energie", sagt Karlsson. Das zahlt sich aus: Einer Studie zufolge verursacht eine neue Wohnung in Hammarby Sjöstad vom Baubeginn bis zum Abriss 42 Prozent weniger CO2 als im Stockholmer Durchschnitt.

Ein Vorbild für Berlin - für eine Stadt mit 136 mal mehr Einwohnern? Man kann Berlin ja nicht abreißen und nach schwedischem Vorbild neu errichten. Doch die Berliner Stadtplaner können zweierlei lernen: Sie brauchen ein gutes Konzept, und sie müssen jede denkbare Energiequelle berücksichtigen.

An einem detaillierten Konzept jedoch hapert es. Zwar hat Klaus Wowereit den Berlinern ein eigenes Klimaschutzziel verordnet: 2020 sollen sie 40 Prozent weniger CO2 verursachen als 1990. Wie sie das schaffen sollen, hat er aber nicht gesagt. Stattdessen brüstet sich der Senat mit dem Erreichten: mit Europas größtem Niedrigenergiehaus etwa, mit Klimaschutzvereinbarungen, mit der Sanierung von Plattenbausiedlungen. Und damit, dass der CO2-Ausstoß bereits um ein Viertel gesunken ist. Nur liegt das weniger am entschlossenen Handeln als am Industriesterben nach der Wende.

Die Hauptstadt schert sich weniger um ihre Zukunft

Gern verweist man in Berlin auch auf die Grenzen, an die Kommunen beim Klimaschutz stoßen: Sie seien von staatlichen Gesetzen und Förderung abhängig, vom guten Willen der Wirtschaft und der Bürger. Das gilt allerdings überall. Wien, London und Frankfurt haben gezeigt, dass sie ihre Zukunft dennoch seriös planen können. Sie ließen Experten berechnen, mit welchen Mitteln sich wie viel CO2 vermeiden lässt und was das kosten würde. Und dann entwickelten sie, was jede moderne Stadt braucht: eine Vision.

Berlin dagegen schert sich weniger um seine Zukunft. Die Leitstern-Studie, an der das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung beteiligt war, bringt das auf den Punkt: Berlin fehle "eine differenzierte und ambitionierte Zielsetzung". Es landet im Vergleich der 16 Bundesländer nur auf Platz 15. Auch für die Debatte um Klingenberg ist der Senat schlecht gerüstet. Das seit 2007 versprochene "Energiekonzept 2020" existiert bis heute nicht.

Das richtige Rezept mag noch fehlen, aber die Zutaten stehen fest. "Wie überall gilt: Um die Klimaschutzziele zu erreichen, muss der Verbrauch sinken und der Anteil erneuerbarer Energien steigen", sagt Matthes. "2050 könnten sie mindestens die Hälfte des Bedarfs decken." Trivial ist das aber nicht. Zwar rechnen Ökostromfans gern vor, dass Sonne und Wind in Berlin gut ein Viertel des jetzigen Strombedarfs decken könnten. Trotzdem spielen Solaranlagen und Windräder künftig wohl nur eine Statistenrolle. Solarzellen werden wahrscheinlich auch im nächsten Jahrzehnt noch so teuer sein, dass sich die Montage nur da lohnt, wo sie auch dem Image dienen - wie auf Hauptbahnhof und Kanzleramt. Und der Streit um das Windrad in Pankow hat die Grenzen der Technologie in Städten offenbart: Es gibt kaum Flecken, wo das Rotorensurren und die Schatten niemanden stören. Besser geeignet wären Miniwindräder, wie sie die britische Firma Quiet Revolution baut. Klein wie Satellitenschüsseln, drehen sie sich vertikal um ihre Achse und machen kaum Lärm. Allerdings sind sie sehr teuer.

Erdwärme - liegt Berlin zu Füßen

Auch Wasserkraftwerke kommen im flachen Berlin nicht infrage. Aber: "Elektrizität lässt sich gut über große Entfernungen transportieren", sagt Matthes. "Die Stadt könnte ihren Strom auch aus Biomasseanlagen in Brandenburg, aus Solarparks im Süden oder von Offshore- Windrädern vor der Küste beziehen."

Wärme dagegen sollte da erzeugt werden, wo sie gebraucht wird: in der Stadt. Schon heute verzweigt sich im Berliner Untergrund eines der größten Fernwärmenetze Europas. Es pumpt heißes Wasser in jeden vierten Haushalt. "Das Netz sollte ausgebaut werden, da es aus KWK- Anlagen gespeist wird", sagt Hertle. KWK steht für Kraft-Wärme-Kopplung und bedeutet, dass mit Abwärme aus der Stromproduktion Gebäude beheizt werden. Das macht Kraftwerke effizienter.

Eine klimafreundliche Energiequelle liegt Berlin buchstäblich zu Füßen: Erdwärme. Das Büro für Technologiefolgenabschätzung beim Bundestag geht davon aus, dass Deutschland seinen jährlichen Wärmebedarf mit unterirdischen Reserven 600 mal decken könnte. "In Berlin ist Tiefengeothermie vielversprechend", sagt Werner Bußmann vom Bundesverband Geothermie. Aus 2000 bis 3000 Meter Tiefe ließe sich 60 bis 90 Grad heißes Wasser fördern und in Netze einspeisen. "Berlin hat gute Voraussetzungen, es liegt auf dicken Sandsteinschichten." Doch die Bohrungen sind ein Glücksspiel: Man weiß nie, ob man genug heißes Wasser findet. Und je tiefer man bohrt, desto teurer wird es. Die Firma Econ aus Mecklenburg-Vorpommern, die geologische Daten aus DDR-Zeiten ausgewertet hat, glaubt trotzdem an ein gutes Geschäft. "Wir halten zehn Standorte in Berlin für geeignet", sagt der Geschäftsführer.

Es gibt viele mögliche Quellen

Aber auch für Wohnungen ohne Fernwärme gibt es grüne Alternativen zu Ölkessel, Gastherme oder Kohleofen. Solarkollektoren etwa: Der Wohnungsunternehmerverband BBU hat aus Stichproben hochgerechnet, dass jedes vierte Dach dafür infrage käme. Lohnen würden sich dort Anlagen mit einer Gesamtfläche von 530 000 Quadratmetern. Sie könnten immerhin ein bis zwei Prozent des heutigen Wärmebedarfs decken.

Außerdem könnte Restwärme aus Abwasser Wohnungen wärmen. In Kreuzberg wird bereits eine Turnhalle so beheizt. Statt die Brühe wie in Stockholm erst zu klären und kilometerweit in ein Kraftwerk zu leiten, wird die Wärme im nächsten Kanalrohr gewonnen. Dazu wird ein metallischer Wärmetauscher im Rohr befestigt, durch den kaltes Wasser fließt. Das wird durch das Abwasser um einige Grad erwärmt - und anschließend mit einer strombetriebenen Wärmepumpe auf Heizungstemperatur gebracht. So könnten fünf Prozent der nötigen Haushaltswärme gewonnen werden.

Vielversprechend sind Mikro-KWK-Kraftwerke für den Keller. Die kühlschrankgroßen Kisten verfeuern vor allem Erdgas, künftig vielleicht auch Biogas oder Wasserstoff. Für große Gebäude lohnen sie sich bereits. Und die Gasag testet zurzeit kleinere Anlagen.

Variable Preise - ein Modell mit Zukunft?

Biogas aus Gülle, Abfall oder Pflanzen könnte dann eine entscheidende Zutat zum Energiemix sein. Zwar sind die Rohstoffe eher auf dem Land zu bekommen, "aber es spricht ja nichts dagegen, Biogas im Umland zu gewinnen und ins Erdgasnetz einzuspeisen", sagt Guido Bruch von der Gasag. Der Konzern will in Brandenburg 15 Anlagen errichten, dort ist das Potenzial 20 mal größer als in Berlin.

Will Berlin tatsächlich all diese Quellen anzapfen, muss es jedoch seine Netze erneuern, vor allem das Stromnetz. Zum einen sind viele kleine Kraftwerke schlechter zu steuern als wenige Kohleriesen. Zum anderen muss das Netz mit den Launen der Natur zurechtkommen: Sonne und Wind richten sich nicht nach den üblichen Fernseh- und Bügelzeiten.

Helfen könnten Smart Grids, intelligente Stromnetze. Die erste Masche eines solchen Zukunftsnetzes ist in Mannheim zu sehen, im Keller der Röschs: Neben der Waschmaschine steht ein graues Kästchen, der Energie-Butler. Seit einem Jahr nehmen die Röschs an einem Test des Stromversorgers MVV Energie teil. Statt des üblichen fixen Tarifs zahlen sie variable Preise, die sich nach dem Angebot richten: Fließt viel Strom ins Netz, weil etwa starker Wind übers Land fegt, sinkt er. Abends, wenn alle die Fernseher und Backöfen einschalten, steigt er.

Die Box im Keller der Röschs empfängt täglich um 14 Uhr die Preise für den nächsten Tag. Daraus erstellt sie einen Einsatzplan für die wichtigsten Haushaltsgeräte. Geschirrspüler, Trockner und Waschmaschine laufen nicht mehr, wenn man sie anschaltet, sondern wenn der Energie-Butler ihnen das Startsignal gibt. "Sogar ein Kühlschrank lässt sich so steuern", erklärt Frank Rösch. "Der kühlt dann trotzdem so zuverlässig, dass ein anderer Tester sogar seine Schildkröten im Kühlschrank überwintern lässt." Der Energie-Butler lohnt sich doppelt: Ein Vierpersonenhaushalt kann im Jahr bis zu 50 Euro sparen. Vor allem aber ließe sich mit ihm der Verbrauch der Stadt besser ans Stromaufkommen anpassen. Reservekraftwerke, die bei Flaute und Wolken einspringen, würden überflüssig.

Der Verbrauch muss gesenkt werden

Nebenbei könnte der Butler seine Herren zum Energiesparen bewegen, weil er auch als smarter Stromzähler dient. Per Computer können die Röschs jederzeit ihre Verbrauchsdaten abrufen und prüfen, welches Gerät wie viel Strom zu welchem Preis frisst. "Man lernt viel über den Verbrauch", sagt Rösch. Bis zu zehn Prozent Ersparnis könnte das bringen, schätzt das Wuppertal-Institut.

Der Appell, Energiesparlampen einzudrehen und Ökokühlschränke zu kaufen, mag ermüden. "Für eine klimafreundliche Metropole ist es aber das A und O, den Verbrauch zu senken", sagt Hertle. "In der Regel ist es billiger, eine Megawattstunde zu sparen, als sie aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen." Hertle schätzt, dass Berlin langfristig mit 60 Prozent weniger Energie auskommen könnte. Gelänge das, wäre das Ziel in greifbarer Nähe, die Hälfte des Bedarfs mit CO2-freien Energieträgern zu decken. Bei so niedrigem Gesamtverbrauch wird das Potenzial von Sonne, Biogas, Abwasserwärme und all den anderen Energiequellen zweieinhalbmal höher.

Wie man eine Stadt auf Sparkurs bringt, weiß Edgar Hauer. Er setzt das Wiener Effizienzprogramm um. "Für alle Wohngebäude haben wir die Sanierungskosten ermittelt", sagt er. "Dazu haben wir sie in sieben Altersklassen mit fünf Sanierungsvarianten und 15 Heizungsarten aufgeteilt." Noch genauer wurde der Verbrauch aller Elektrogeräte in 800 000 Haushalten erfasst.

Auf Grundlage dieser gewaltigen Datenmenge entstand eine Liste mit 100 Sparmaßnahmen. So etwas gibt es zwar schon in anderen Städten, doch die Wiener haben sie sinnvoll geordnet - nicht nach Prestige, sondern nach Effekt und Umsetzbarkeit. Platz eins bekam die Wärmedämmung der Bausünden aus den 50ern bis 70ern. Mit Schüttbeton, Fertigteilen und vorgehängten Fassaden bekämpfte man damals die Wohnungsnot. Heizöl war billig, Isolierung kein Thema.

Die Bewohner müssen mitmachen

Die Altbausanierung ist die wichtigste Maßnahme. Je schlechter der Zustand, desto größer das Potenzial. In Berlin wurde bisher nur ein Drittel aller Gebäude gedämmt. Dabei sind die Plattenbauten oft besser saniert als die hübsch angestrichenen Jugendstilhäuser in Prenzlauer Berg. Der Grund: Die großen Wohnungsbaugesellschaften sind nach der Wende oft konsequenter vorgegangen. Für 36 Milliarden Euro könnte der Rest auf Vordermann gebracht werden, hat die Beratungsfirma THP überschlagen. Zwei Milliarden Euro Energiekosten würde das jährlich sparen - und Berlins CO2-Emission um ein Fünftel senken.

Überwunden werden muss jedoch zunächst das Eigentümer-Mieter-Dilemma: Obwohl der Eigentümer die Sanierung bezahlt, profitieren zunächst die Mieter. Zwar darf er die Kosten später teilweise auf die Kaltmieten umlegen, das ist unpopulär und birgt die Gefahr von Leerstand. In Berlin mit 90 Prozent Mietwohnungsanteil ist das Dilemma besonders groß.

Zudem ist es hilfreich, beim Sanieren Psychologen und Pädagogen zu Rate zu ziehen. Sonst besteht die Gefahr, dass in der Praxis nicht so viel Energie gespart wird, wie vorher errechnet. Im Wiener Schöpfwerk, einer Hochhaussiedlung für 5000 Menschen, sank der Heizenergieverbrauch nur um 30 statt um 77 Prozent. Das lag nicht an schlampiger Arbeit, sondern an nachlässigen Bewohnern: Die neue Dämmung war nicht so effektiv, weil die Fenster stundenlang zum Lüften gekippt waren.

Wäre Berlin doch ein wenig wie Wien, Stockholm und Mannheim! Mike Kess sitzt nun an der Fernsehturmbar, es dämmert, die Stadt verwandelt sich in ein Lichtermeer. "Wir können die anderen noch einholen", sagt er. "Wir dürfen nur kein Kohlekraftwerk bauen. Das würde 40, 50 Jahre Strom im Überfluss erzeugen, und es gäbe keine Anreize, die Energieversorgung neu zu erfinden." Da geben ihm viele Energieexperten recht.

- Der leicht gekürzte Text ist der erste Teil der Serie "Die ideale Stadt". Er ist der heute erscheinenden Ausgabe des Magazins "Zeit Wissen" entnommen. Weitere Folgen: Mobilität, Umwelt und Soziales.

Jens Uehlecke, Dirk Asendorpf

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