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Berlin: Stasi-Gedenkstätte: Aufklärer mit Kommandoton

"Trotz Kohl und Schily, die Akten bleiben offen" heißt es rot auf weißem Laken an der Fassade des "Hauses Nummer 1", Lichtenberger Normannenstraße. In dem grauen Verwaltungsbau befand sich die "Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit".

"Trotz Kohl und Schily, die Akten bleiben offen" heißt es rot auf weißem Laken an der Fassade des "Hauses Nummer 1", Lichtenberger Normannenstraße. In dem grauen Verwaltungsbau befand sich die "Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit". Von hier aus dirigierte Generaloberst Erich Mielke seine 100 000 offiziellen und doppelt so viele inoffizielle Mitarbeiter. Am Abend des 15. Januar 1990 stürmten Demonstranten die Stasi-Feste. Das Ende der MfS-Zentrale war der Anfang der "Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße", die den geheimsten Ort der DDR in einen öffentlichen Raum verwandelte.

Seit 1992 leitet Jörg Drieselmann die Gedenkstätte und gehört damit zu den Verwaltern des Stasi-Erbes. Im Streit zwischen Bundesinnenminister Otto Schily und der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen, Marianne Birthler um die Herausgabe- und Informationspraxis der Behörde, stellt Jörg Drieselmann sich klar auf die Seite Birthlers, die nebenan in "Haus 8" residiert: "Es gibt keinen Grund, die Akten zu schließen, vom Einzelfall Helmut Kohl ganz abgesehen." Es werde ohnehin schon sehr viel geschwärzt, klagt Drieselmann, der auf die Materialien der Bundesbeauftragten angewiesen ist, um Ausstellungen aufzubauen und die SED-Diktatur historisch aufzuarbeiten.

Bei Personen der Zeitgeschichte wie dem Autor in MfS-Diensten Julius Mader waren die politischen Mitgliedschaften vor 1945 ebenso getilgt worden wie die Orden und Ehrenzeichen, die er in zwei Diktaturen verliehen bekam. "Was soll das?", fragt Drieselmann, "soll hier nachträglich die Nazi-Vergangenheit eines Kommunisten vertuscht werden?"

Bei der Aufarbeitung der Vergangenheit duldet Drieselmann keine Unklarheiten - und er weiß, wovon er spricht. 1955 in Erfurt geboren, geriet der Lehrling Drieselmann auf "staatsfeindliche Abwege". Mit einer Gruppe, die sich zu "offenen Diskussionen" traf, verteilte er Flugblätter. Am 13. August 1974 wurde er wegen "staatsfeindlicher Hetze" verhaftet. Er hatte ein Plakat bei sich, das über die Opfer des Mauerbaus informierte, "ganz sachlich". Drieselmann wurde zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt und nach zwei Jahren in den Westen freigekauft.

Auch danach wurde er abwechselnd bespitzelt, bedroht und umworben, sich als IM zu verdingen. "All das", sagt er, "habe ich erst aus meiner Akte rekonstruieren können." Ein Freund hatte ihn verraten. "Nein", sagt er, "ich hadere nicht mit ihm, ich weiß, wie so etwas zu Stande kam." Er hat sein "jugendliches Aufbegehren gegen den Mief" mit dem Bruch seiner Biografie bezahlt.

Damit solche Dinge nicht wieder geschähen, müssten die Strukturen der Diktatur offen gelegt werden und die Akten der Stasi offen bleiben. "Die Akten sind nicht dazu da, Rentensachen zu klären, sondern zur wissenschaftlichen und journalistischen Aufarbeitung der Strukturen und Arbeitsweisen des MfS", zitiert er das Stasi-Unterlagengesetz - Pause - "Persönliche Beschädigungen müssen wir in Kauf nehmen."

Dann führt der Radikalaufklärer eine Schulklasse durch das ehemalige Ministerium. Die Zehntklässler aus München empfangen den hageren Mittvierziger in der legeren Kleidung eines Studienrats im Foyer des Hauses mit einer Mauer aus verschränkten Armen. "Regionale Herkunft?", "Jahrgangsstufe?", "Sind Sie nicht zu jung für diese Geschichte?", "Wann endete die DDR als Staat?" feuert Drieselmann seine knappen Fragen in die Phalanx der Zuhörer. "3. Oktober 1990." kommt es zurück. "Jawoll. Die deutsche Einheit wird vollzogen. Erste Sahne. Folgen Sie mir."

Drieselmann hat im Kommandoton die Front aufgebrochen, alles schart sich um ihn, wenn er am Modell oder an der Spionagekamera erklärt, wer wo wen bei "Horch und Guck" bespitzelt hat. Manchmal führt er witzig - "Wer möchte mal im Knastwagen Probesitzen", manchmal bitter polemisch durch die Ausstellung. Das Ölbild Wolfgang Frankensteins in Mielkes Konferenzraum bezeichnet er als "Farbproben eines depressiven Affen". Am Ende des Rundgangs lobt Drieselmann den Fleiß und die Disziplin bayrischer Schüler und zählt sie zu seinen Lieblings-"Truppen". Zu denen gehören auch Bundeswehreinheiten. Schon 400 Soldatengruppen haben die Ausstellung besucht, alle haben ihre Truppenabzeichen als Souvenir dagelassen. Sie zieren dicht an dicht eine Wand im Besucherzimmer.

Ein Bürgerrechtler mit Majorston, der Militärkitsch sammelt, geht das? "Wissen Sie, wenn Sie wieder und wieder Akten aus dem MfS lesen, dann greift das manchmal ihre Sprache an", rechtfertigt sich der studierte Germanist. "Ich bin aber nie Soldat gewesen." Dennoch schätze er eine Armee, die demokratische Werte verteidigt. "In der Ausstellung sollen Soldaten und nicht nur die lernen, was geschieht, wenn Recht und Freiheit nicht verteidigt werden.

Jährlich laufen über 60 000 Leute durch die Amtsräume Mielkes, schütteln die Köpfe über die veraltete Einrichtung und Abhörtechnik aus den 60er Jahren. Drieselmann versucht das Unverständliche zu erklären, zeichnet Arbeitsweisen der Zersetzung nach. Von seinem Prozess 1974, der Haft, seinem Verkauf in den Westen spricht er bei den Führungen nie: "Ich rede über Systemgeschichte. Alles andere ist mitleidheischend."

Thomas Monien

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