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Willsingh Wilson tourte in den 90er-Jahren mit einer Big Band durch die USA. Seine Leidenschaft für guten Klang hat er behalten.

© Sven Darmer

Stille für den guten Ton: Berliner erfindet Schalldämpfung für Clubs

Der Berliner Erfinder Willsingh Wilson entwickelt Produkte zur Akustikverbesserung. Er berät Clubs wie das So36, den Tresor oder den Klunkerkranich.

Jeder Altbaubewohner kennt es: Der Nachbar in der höheren Etage bewegt sich und die Decke fängt wieder an zu vibrieren. Mit dieser Hellhörigkeit könnte es schon bald vorbei sein, wenn es nach dem Berliner Erfinder Willsingh Wilson geht. Eine neuartige Deckenabhängung absorbiert den Trittschall komplett. 

In wenigen Jahren soll das Produkt marktreif sein. Schon seit 20 Jahren arbeitet Wilson an der Planung und Realisierung von Tonstudios. Seit einiger Zeit kümmert er sich mit seiner Firma, der WAX GmbH, auch um Akustik-Lösungen für Privatleute. Früher hat Wilson selbst Musik gemacht, ist als Schlagzeuger mit einer Big Band durch die USA getourt. „Das war in den 90er Jahren. Parallel habe ich auch Platten produziert und Beschallungstechnik für Livekonzerte bedient“, erzählt er.

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Später arbeitete der gelernte Tontechniker als selbstständiger Musikproduzent in Studios. Trotz hochwertiger Aufnahmetechnik war er mit den Ergebnissen nicht immer zufrieden: „Ich habe mich dann oftmals gefragt: Dieses Mikrofon kostet Tausende von Euro, warum klingt das so schlecht?“ 

Für wirklich gute Aufnahmen brauche es auch das perfekte Umfeld: „Für mich ist das vergleichbar mit einem hochwertigen Objektiv. Je besser das Objektiv, desto wichtiger wird auch, wie gut das Licht ist.“ Fortan widmet er sich der Aufgabe, unnötigen Schall zu absorbieren.

Früher hat Wilson die Nächte durchgearbeitet

Acht Mitarbeiter arbeiten in den Büroräumen in der Meinekestraße in Charlottenburg am perfekten Klang. Sie kommen alle aus unterschiedlichen Bereichen: Tontechnik, Audiokommunikation, Tischlerei, Einkauf und Controlling. Vor nicht allzu langer Zeit hat er selbst noch tage- und nächtelang durchgearbeitet, um die kleine Firma am Leben zu erhalten. Inzwischen kann er sich etwas zurücknehmen und zumindest die Abende und das Wochenende frei halten. 

Wilsons Arbeitsplatz ist unscheinbar: Einige seiner eigens entwickelten Dämmmaterialien zieren die Wände, auf einem kleinen Regal liegen Klangspulen und andere Gegenstände zur Akustik-Verbesserung. Im Nebenraum finden sich Computer und Skizzen von geplanten Studioräumen an den Wänden. Früher war für den Bau eines Tonstudios viel Material notwendig: Um auch tiefere Töne zu absorbieren, brauchte es teilweise meterdickes Dämmmaterial.

Ton ab. Für die Film- und Fernseh Synchron GmbH entwarf die Firma ein speziell gedämmtes Studio. 
Ton ab. Für die Film- und Fernseh Synchron GmbH entwarf die Firma ein speziell gedämmtes Studio. 

© Promo

Inzwischen werden meist platzsparende, schwingende Stahlplatten hintereinander angeordnet. Wilson findet auch das zu aufwendig: Er entwickelte einen Stoff, der ähnlich schwingt wie eine Stahlplatte. Dafür musste zunächst eine komplexe Gleichung aufgestellt und am Computer ein entsprechendes Programm geschrieben werden. In Kooperation mit Textilunternehmen wurden verschiedenste Materialien im Labor getestet und die Geräuschkulisse gemessen.

Das Ergebnis: Eine leichte, dünne Platte aus reinem Polyester, die je nach Abstand zur Wand den Ton tiefer oder höher klingen lässt, genannt „waxShapes“. „Ich kann dann den Klang ähnlich wie im Instrumentenbau abstimmen und gezielt an den Raum anpassen“, erklärt Wilson stolz. Durch den Einsatz einer Schwingspule kann die Dämmplatte sogar Schall abstrahlen und so als Lautsprecher fungieren. Zur Demonstration dreht er sein in den Wänden installiertes Soundsystem auf.

Die Wand wird zum Mikrofon

Kein Hall, keine Verzerrung sind in dem Altbauzimmer zu hören, nur satter Klang. Doch damit nicht genug: „Ich könnte auch die Polarität der Schwingspule umkehren, dann wird das Ding zum Mikrofon. Alles, was wir besprechen, wird von der Wandfläche aufgezeichnet.“ So könnte man sich bei einer Skypekonferenz sogar das Mikro sparen.

125 Euro pro Quadratmeter beträgt der reine Materialpreis. Eine herkömmliche Dämmung ist deutlich günstiger. Allerdings seien für seinen neuen Dämmstoff deutlich weniger bauliche Veränderungen notwendig, was die hohen Kosten wieder größtenteils ausgleiche, sagt Wilson. Die neuen Dämmstoffe kamen schon an verschiedenen Stellen zum Einsatz. Für die Firma FFS Synchron Berlin hat er eine Reihe von Studios eingerichtet. Vor allem Disneyfilme werden hier synchronisiert.

Leisetreter. Mit seiner Firma WAX bietet der Erfinder Willsingh Wilson unter anderem schalldichte Schlafräume für Powernapping auf Flughäfen.
Leisetreter. Mit seiner Firma WAX bietet der Erfinder Willsingh Wilson unter anderem schalldichte Schlafräume für Powernapping auf Flughäfen.

© Promo

Auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain hat Wilsons Firma 2019 ganze 40 Studioräume fertiggestellt. Die sind inzwischen alle vermietet, unter anderem an die Musikschule BIMM und an Noisy Musicworld, die Proberäume für Musiker anbieten. Auch für das neue Redaktionsschiff der Media Pioneer GmbH des Journalisten Gabor Steingart arbeitet er derzeit an zwei Studios. Die Deutsche Oper berät Wilson seit 2018 beim Ausbau ihres Orchestergrabens.

Neben der Optimierung von Tonstudios und Konzertsälen kümmert sich die WAX GmbH auch um Lärmschutz, etwa in Großraumbüros: „Wir haben eine Medienwand gebaut, die Schall absorbiert, aber auch Schall abstrahlen kann.“ 

Schallschutzmaßnahmen in Berliner Clubs

Bunte Trennwände zwischen den Arbeitsplätzen, ein Zelt, das eine Sitzgruppe umschließt, oder die Überdachung für einen Konferenztisch: Die Formen sollen nicht nur optisch interessant wirken, sondern den Büroalltag laut Wilson spürbar stressfreier werden lassen: „Es wird jeweils nur ein Teilbereich der Stimme abgeschirmt. Alle, die sich unterhalten wollen, können das in normaler Lautstärke tun, ohne dass ihre Kollegen gestört werden.“

Derzeit entwickelt man abgetrennte, schalldichte Schlafräume zum „Power Napping“, die zum Beispiel in Flughäfen zum Einsatz kommen könnten. Die Preise für einzelne Produkte werden mit den Abnehmern teils individuell ausgehandelt. „Die Spannweite reicht dann von einigen Tausend bis zu mehr als einer Million Euro“, verrät Wilson.

Aktuell ist Wilson für verschiedene Berliner Clubs tätig, um ihnen bei der Einhaltung von Lärmschutzvorschriften zu helfen. Seit Ende 2018 berät er unter anderem den Tresor, SO 36, den Klunkerkranich und Quasimodo. Im Rahmen des Lärmschutzfonds Berlin werden den Clubs vom Land Berlin Fördermittel in Höhe von einer Million Euro zur Verfügung gestellt, um zusätzliche Schallschutzmaßnahmen zu installieren.

Für die einzelnen Antragsteller erstellt die WAX GmbH ein kostenloses Gutachten und schlägt verschiedene Maßnahmen vor. Aus diesen Vorschlägen errechnet sich die Fördersumme für jeden einzelnen Club. Das Land Berlin übernimmt bis zu 90 Prozent der Gesamtkosten bis zu einer Summe von 50.000 Euro.

Das neueste Projekt: Trittschall an der Decke verhindern

Wilsons Firma erhält im Gegenzug eine Aufwandsentschädigung von der Berliner Clubcommission. Schon vor Jahren hat er den Club „Raumklang“ in Friedrichshain im Erdgeschoss eines Altbaus schalldicht isoliert. Ganze 6000 Stahlfedern mit einem Gewicht von insgesamt 300 Tonnen kamen damals zum Einsatz.

Inzwischen arbeitet Wilsons Team an deutlich praktischeren Lösungen, um die tiefen Töne unhörbar zu machen. Die Idee: Durch ein integriertes Masse-Federsystem werden Gegenkräfte, sogenannte Mikroschwingungen, erzeugt, die eine fünf Zentimeter dicke Wand in Bewegung versetzen. Der einwirkende Schall soll somit gehemmt werden.

Eine an der Decke angebrachte Federaufhängung soll störenden Trittschall in Privatwohnungen minimieren.
Eine an der Decke angebrachte Federaufhängung soll störenden Trittschall in Privatwohnungen minimieren.

© Sven Darmer

Wilson ist besonders stolz auf sein neues „Akustik-Leichtbaumodul: „Wir haben ein Modell aufgebaut, das relativ dünn ist, mit einem Flächengewicht von weniger als zehn Kilogramm pro Quadratmeter. Damit können wir potenziell eine Schalldämmung erzeugen, für die man ansonsten 100 Tonnen pro Quadratmeter benötigen würde.“

In seinem aktuellen Forschungsprojekt beschäftigt Wilson sich mit der Übertragung dieses Konzeptes auf Privatwohnungen. Eine an einer Federkonstruktion aufgehängte mitschwingende Decke soll den Trittschall vergessen machen. Selbst bauen will er die Deckenisolierung allerdings nicht. Der Plan lautet, die Lizenz für eine solche Konstruktion möglichst gewinnbringend zu verkaufen. Es wäre womöglich Wilsons bisher größter Coup.

Kai Gies

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