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Berlin: Strandbad Wannsee: Die unendliche Geschichte einer Sanierung

Man braucht bloß 10 Mark in einen Strandkorb zu investieren, die breite Lehne nach hinten zu klappen, die Fußstützen herauszuziehen, und schon setzt ein Gefühl ein, als wäre man auf Sylt. Dabei plätschern im Strandbad Wannsee nur Havelwellen, und man blickt statt auf die Nordseebrandung auf Heckeshorn und Schwanenwerder.

Man braucht bloß 10 Mark in einen Strandkorb zu investieren, die breite Lehne nach hinten zu klappen, die Fußstützen herauszuziehen, und schon setzt ein Gefühl ein, als wäre man auf Sylt. Dabei plätschern im Strandbad Wannsee nur Havelwellen, und man blickt statt auf die Nordseebrandung auf Heckeshorn und Schwanenwerder.

Das ganze Drumherum erinnert an ein "echtes" Seebad. Da sind Kinder, die bis zu den Knien im seichten Wasser stehen und mit Schäufelchen Schlamm schippen. Familien, um deren Lager im Sand bunte Eimer und Förmchen liegen. Auch Väter sind zu sehen, deren Tätowierungen auf den Armen an wildere Zeiten erinnern. Barbusige sind in Bücher vertieft. Studenten - in Badehose - schmökern in Manuskripten. Beleibte recken ihre Bäuche Richtung Sonne. Ältere Damen auf Liegestühlen diskutieren und rauchen dabei. Männer zischen schon mittags ihr erstes Bier und schauen beim Volleyballspiel zu.

Wer sich allerdings umdreht und statt das Große Fenster das alte Strandbad selbst betrachtet, vergisst die Idylle. Von den vier gelben Terrassenbauten, die der Architekt Richard Ermisch und Stadtbaurat Martin Wagner 1929 an dem beliebten Badestrand errichten ließen, sehen zwei aus, als seien Bomben eingeschlagen. Seit Jahren ist von einem mehrere hundert Meter langen Wandelgang vor den Obergeschossen über weite Strecken nur noch ein rostiges Stahlskelett übrig. Die gelben Klinker der beiden Hallen B und D tragen schwarze Spuren von der Witterung. In den Wänden klaffen Risse, hier und da fehlen Steine.

"Es ist eine traurige Geschichte", sagt Badebetriebsleiter Horst Schwabe. Der Zustand des Bades sei ein "Skandal", heißt es im Landesamt für Denkmalschutz. Und selbst in der Chefetage der Bäderbetriebe spricht man von einer "Katastrophe". Europas größtes Binnenseebad galt schließlich als ein Aushängeschild der Stadt.

1986 wurde bekannt, wie marode das zu dieser Zeit 56 Jahre alte Bauwerk schon war. 1988 begann der Bezirk Zehlendorf, dem das Bad damals noch unterstand, die ersten verrosteten Stahlträger freizulegen. Seitdem zieht sich die Sanierung hin. Unter anderem gab es Streit mit den Denkmalschützern um 300 000 gelbe Natursteine, die etwas kleiner sind als die Orginal-Klinker. 1996 übernahmen die Bäderbetriebe (BBB) die Anlage. Der Bezirk brachte noch einige Arbeiten zu Ende, die Häuser B und D wurden fertig saniert, dann wurden die Arbeiten gestoppt.

Die Bäderbetriebe bedauerten: "Kein Geld". Und in diesem Jahr, in dem die BBB sich nicht einmal mehr Saisonkräfte für ihre Freibäder leisten können, ja sogar die Pleite droht, sieht es nicht anders aus. 20 Millionen Mark geben die Betriebe in diesem Jahr für "bauliche Unterhaltung" aller ihrer Bäder aus, keine Mark für Investitionen. Die Sanierung des Bades zu Ende zu bringen, würde jedoch um die 60 Millionen Mark kosten. Auf Dutzenden Paletten einst neuer Klinkersteine, die am Wannsee lagern, wächst Gras.

Die Eröffnung des ersten Strandbades 1907 war eine Sensation. Erst kurz zuvor hatte der Teltower Landrat Ernst Stubenrauch an der Stelle eine Ausnahme vom preußischen Verbot des "unsittlichen Zurschaustellens" erwirkt. Dafür galt eine Polizeiverordnung, die unter anderem regelte, dass "Männer eine die Oberschenkel zur Hälfte bedeckende, nicht dreieckige Badehose" zu tragen haben. Der Betrieb gewann immer mehr an Schwung. In den späten 20er Jahren näherte sich die Zahl der Gäste pro Jahr der Million. Auf Initiative der Sozialdemokraten wurde der Bau des fast 550 Meter langen Gebäudetraktes beschlossen.

Die im Stil der neuen Sachlichkeit gehaltene Häuser seien schon vor dem geschichtlichen Hintergrund wichtig, heißt es im Landesamt für Denkmalschutz. Architekten wie Bruno Taut mit seiner Hufeisensiedlung setzten damals Maßstäbe für ein menschlicheres Wohnen. Das Strandbad gilt als Beitrag zur Gesundheitspolitik.

Es war aber auch schon immer ein Ort für Volksbelustigung, für Remmidemmi am Wochenende. Miss-Wahlen wie 1949 oder Seepferdchenverstecken, bei dem Kinder eine Reise an die Ostsee gewinnen konnten, gibt es heute zwar nicht mehr, dafür werden unter der Flagge eines Getränkeherstellers unmögliche Fluggeräte in den Wannsee gestürzt, eine andere Firma sponsert einen "Beachsoccer-Cup". Doch die Vergnügungsstätte trägt Narben. Das Restaurant am Südende zum Beispiel, wo einst Frühkonzerte veranstaltet wurden, ist auch baufällig.

Selbst die noch bestehende Gastronomie scheint zu schlummern. Fritten, Hamburger und Pils passen zwar ins Bild des Volksbades. Aber lockt das Neu-Berliner an, die aus den Gartenlokalen im Zentrum Roccula, Prosecco und frische Pasta kennen? Noch dazu gibt es keine Stelle im Bad, wo man sich zum Essen an Tische setzen kann, seit das Restaurant geschlossen hat.

Die Besucher schwanken in ihren Urteilen. "Ab 18 Grad bin ich täglich hier", sagt eine 36-jährige Zehlendorferin im Liegestuhl. Sie und ihr Mann fühlen sich dort so wohl, dass sie sich für 150 Mark in der Saison eine eigene Umkleidekabine gemietet haben, in der sie ihre Badeutensilien verwahren. "Strand, Wasser und Ruhe - das ist ein bisschen wie an der Ostsee", sagt sie - an Wochentagen zumindest. Das Paar beklagt jedoch, dass es mit der Sauberkeit nicht mehr so genau genommen werde, seit der Bezirk das Bad abgegeben hat.

"Ich bin furchtbar gerne hier", sagt eine ältere Frau, die seit knapp 40 Jahren regelmäßig an den Wannsee fährt. Den maroden Terrassenbau findet sie allerdings "nicht gerade repräsentativ". "Man hätte von den Millionen, die ins neue Kanzleramt geflossen sind, etwas abzweigen sollen". "Eigentlich traurig", sagt eine Wilmersdorferin: "Das Bad gehört doch genauso zur Stadt wie der Funkturm."

Tobias Arbinger

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