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Strahlende Aussichten. Elen sammelt im Internet Spenden für ihr erstes Album. Obwohl sie nach einer Casting-Show andere Möglichkeiten gehabt hätte. Foto: Doris Spiekermann-Klaas

© Doris Spiekermann-Klaas

Straßenmusik in Berlin: Ihre Bühne ist der Asphalt

Tag für Tag steht Elen Wendt an der Schönhauser Allee in Berlin und singt – die Kinder tanzen, die Mütter weinen. Doch nun will die junge Musikerin für eine Weile die Straße verlassen.

Elens Bühne ist vier Quadratmeter groß und aus Asphalt. Es gibt keine Band und keinen Soundtechniker. Keinen Vorhang und keine grellen Lichter. Auf Elens Bühne stehen nur ein Mikrofonständer, ein Gitarrenkasten und Kerzen. Mehr nicht. Ihre Bühne befindet sich nämlich nicht in einem Club oder auf einem Festivalgelände, sondern vor den Schönhauser Allee Arcaden. Mitten auf dem Gehweg. Draußen vor der Tür.

Straßenmusik statt Schulabschluss

Seit sieben Jahren macht Elen Wendt, die sich als Musikerin nur Elen nennt, auf diese Weise Musik. Damit angefangen hat die 24-Jährige 2007, als sie in der elften Klasse die Primo-Levi-Oberschule verlassen hat. „Ich war jung, und jung sein ist eben schwierig“, sagt sie in einem Café in Prenzlauer Berg. Sie sei orientierungslos gewesen und habe ihren Platz nach monatelanger Suche schließlich in der Musik gefunden. „Dort fühle ich mich sicher“, sagt die Sängerin mit einem zaghaften Lächeln. „Und deswegen haben meine Eltern damals auch keine Einwände gehabt.“

Jetzt, wo es draußen kalt und so früh dunkel ist, sei keine gute Zeit zum Auftreten. „Ich glaube, dass der Mitleidsfaktor da eine große Rolle spielt“, sagt Elen. Schließlich ist bald Weihnachten, das Fest der Familie und der Nächstenliebe. An einem guten Tag verdient die Sängerin mit ihrer rauen, tiefen Stimme 30 bis 40 Euro. An einem schlechten sind es nur ein paar Cent. Viel Geld ist das zwar nicht, sagt Elen, aber dafür sei sie schon auf so viele andere Weisen belohnt worden. Da ist zum Beispiel das vierjährige Mädchen, das immer ganz vergnügt mit ihren kurzen Beinchen zum Takt wippt – und die Sängerin am Ende umarmt. Da ist die Frau, die ihrem autistischen Sohn eine CD der 24-Jährigen mit Cover-Stücken vorgespielt und Begeisterung in seinen Augen gesehen habe. Als sie Elen davon erzählt hat, hat sie aus Dank geweint. Ja, und dann seien da noch die Obdachlosen, die sich vor dem Einkaufscenter verabreden, um Elen zuzuhören – und in ihren Socken nach ein paar Münzen für sie kramen.

Ein Leben im Zirkus Berlin

Nicht nur mit den Menschen, die auf der Straße leben, versteht sie sich gut. Sie kommt auch mit den anderen Musikern gut klar, die unter freiem Himmel spielen, Revierkämpfe gebe es da nicht. „Ich merke allerdings, dass das Ordnungsamt in diesem Jahr strenger als sonst kontrolliert“, sagt sie. „Ich hoffe, dass es in Berlin nicht so wird wie in München.“ Was sie damit meint? Straßenmusiker müssen dort bei der Stadt vorspielen, und nur wenn sie dabei überzeugend sind, dürfen sie ihre Instrumente auspacken. Damit ist die bayerische Landeshauptstadt kein Einzelfall. Auch London und Paris haben strenge Regeln für Straßenmusiker. „Für mich gehört Straßenkunst jeglicher Art aber zu Berlin dazu“, sagt Elen. „Die Stadt ist hier einfach ein großer Zirkus.“

Vor zwei Jahren hat sie diesen bunten Raum für eine Weile verlassen. Ein Scout der Casting-Show „The Voice of Germany“ hatte sie auf der Straße angesprochen und zur Teilnahme an der Fernsehsendung überredet. „Es war ein Ausflug in eine andere Welt“, sagt sie heute. In der ersten Runde überzeugte sie die Jury, in der unter anderen Xavier Naidoo und Nena saßen, mit Cyndi Laupers „Time after Time“. Ein Lied, das sie auf der Straße regelmäßig spielt. Weiter kam Elen allerdings nicht.

Der Weg zur großen Bühne

Nach der Casting-Show und täglichen Cover-Einlagen in der Schönhauser Allee will Elen jetzt mehr, ein eigenes Album, mit eigenen Liedern. Dafür hat sich die Sängerin kein Label gesucht, sondern versucht, ihre CD über Crowdfunding im Internet zu finanzieren. Auf der Plattform Indiegogo hat die 24-Jährige mehrere Lieder und ein Video von sich hochgeladen – und hofft, bis Mitte Dezember genügend Spender zusammenzubekommen. Gut 9000 Euro hat sie schon – 50 000 sollen es werden. „Wenn die Summe in dem geplanten Zeitraum nicht zustande kommt, werde ich warten“, sagt die Sängerin. Durchhaltevermögen, das hat sie auf der Straße am allerbesten gelernt.

Klassischen Pop nennt Elen die Musik, die sie macht. Elektronische Beats interessieren sie nicht, sie will nur analoge Instrumente zu ihrem Gesang hören. Als Pianisten hat sie zum Beispiel Fred Sauer gewinnen können, der schon mit Peter Fox und Nina Hagen zusammengearbeitet hat. Und sie hat sich ihren Traum von einer Orchesterbegleitung erfüllt und einige Songs mit dem Berlin Music Ensemble aufgenommen. Ob sie ihre kleine Bühne für die große Bühne verlassen würde? „Auf jeden Fall“, sagt sie schnell. „Ich möchte doch auch den Menschen außerhalb von Berlin meine Lieder zeigen.“ Und vielleicht einmal eine Tür haben, die man beim Singen im Winter auch zumachen kann.

Elens Crowdfunding-Projekt finden Sie unter: www.indiegogo.com/projects/elen-first-studio-album

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