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„Peinliche Ohrfeige für die Innensenatorin“: Berliner Verwaltungsgericht stoppt Ausweisung von Palästina-Aktivist
Das Land Berlin wollte vier propalästinensischer Aktivisten wegen gewaltsamer Anti-Israel-Proteste ausweisen. Doch das Gericht bezweifelt die Rechtmäßigkeit. Die Opposition macht dem Senat schwere Vorwürfe.
Stand:
Schwere Niederlage für Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD): Die vom Innenressort gegen den Willen der Fachbeamten durchgesetzte Ausweisung eines propalästinensischen Aktivisten aus Irland ist nach Ansicht des Berliner Verwaltungsgerichts rechtswidrig. Das harte Vorgehen der Innenverwaltung gegen vier Personen aus Irland, Polen und den USA, die an der gewalttätigen Besetzung des Präsidiums der Freien Universität (FU) im Oktober 2024 beteiligt waren, steht damit auf Kippe.
Die Opposition sprach von einer schweren Schlappe für Spranger. „Das ist eine peinliche Ohrfeige für die Innensenatorin“, sagte Linke-Innenexperte Niklas Schrader. „Sie hat das Freizügigkeitsrecht für ein politisches Exempel missbraucht.“ Grünen-Innenexperte Vasili Franco nannte es bedenklich, „dass mit pauschalen und diffus zusammengewürfelten Vorwürfen ein solch hartes Vorgehen legitimiert werden soll“.
Nun löse sich die Argumentation in Luft auf. Es erhärte sich der Eindruck, „dass die Innenverwaltung auf dünner Grundlage alleine aus politischer Motivation Ausweisungen erzwingen möchte“. Dieses Vorgehen schwäche das Vertrauen in den Rechtsstaat. „Auch im Kampf gegen Antisemitismus gilt: Wer Eskalation keine Bühne geben will, darf sie nicht selbst befeuern“, sagte Franco.
Das Gericht gab dem Antrag eines der vier Betroffenen im Eilverfahren statt und hob einen Bescheid des Landesamtes für Einwanderung (LEA) auf. Der 29-jährige Ire muss Deutschland vorerst nicht verlassen. Über den Entzug der EU-Freizügigkeit muss im Hauptverfahren zu seiner Klage entschieden werden. Das Gericht äußerte in seinem Beschluss „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ der Behördenentscheidung und beklagte „fachbehördliche Mängel“. Der Beschluss dürfte rechtskräftig werden, denn die Senatsinnenverwaltung will keine Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) einlegen.
Behörde hat Aufklärungspflicht verletzt
Das LEA hatte zunächst die Bitte der Innenverwaltung abgelehnt, die Ausreise von drei EU-Bürgern und des US-Bürgers wegen Straftaten bei propalästinensischen Protesten und der gewaltsamen Besetzung des FU-Präsidiums anzuordnen. Eine ranghohe Beamtin sah keinen Grund für eine angebliche schwere und tatsächliche Gefährdung. Doch auf Weisung der Senatsverwaltung musste das LEA den Entzug der Freizügigkeit der drei EU-Bürger aus Polen und Irland sowie des Visums eines US-Studenten anordnen.
Begründet wurde dies mit Straftaten bei propalästinensischen Protesten. Alle vier sollen Straftaten begangen haben und bei einer gewaltsamen Besetzung an der Freien Universität Berlin (FU) dabei gewesen sein. Am 17. Oktober 2024 waren rund 20 Vermummte mit Brecheisen in das Gebäude eingedrungen, sie hatten Beschäftigte massiv bedroht, Wände beschmiert, Technik und Inventar schwer beschädigt.

© Jörg Carstensen/dpa
Von den Personen gehe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland aus, erklärte Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) erst am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. „Hier sind schwerste Delikte begangen worden.“ Hochgrebe sprach sogar von einem bandenmäßigen Vorgehen. Zugleich verteidigte er die Ausweisung: „Es handelt sich um ein vollkommen rechtsstaatliches Verfahren.“
„From the river to the sea“-Parole reicht dem Gericht nicht
Aus Sicht des Verwaltungsgerichts ist das LEA aber beim Entzug der EU-Freiheitsrechte „seiner Amtsaufklärungspflicht nicht in ausreichendem Maße“ nachgekommen. Die Ausländerbehörde habe versäumt, die Ermittlungsakten bei der Staatsanwaltschaft anzufordern. Anhand der vorliegenden Unterlagen sei es nicht möglich festzustellen, in welchem Maße sich der 29-Jährige an den Straftaten bei der Besetzung der FU beteiligt habe. Dies sei aber unerlässlich.
Die Ausweisungsakte gibt laut Gericht wenig her. Sie enthalte lediglich den Entwurf eines Strafbefehls der Amtsanwaltschaft wegen Beleidigung, zwei Strafanzeigen wegen der FU-Besetzung und einen Bericht des Landeskriminalamtes (LKA) vom November, der „schlicht polizeiliche Tatvorwürfe“ aufliste. Demnach laufen 17 Ermittlungsverfahren gegen den Iren wegen mutmaßlicher Straftaten bei Versammlungen zum Nahost-Konflikt. Das LKA wertete das Verhalten der Aktivisten „als (wenn auch lediglich mittelbare) Unterstützungshandlung“ für die islamistische Terrororganisation Hamas und deren Vorfeldorganisationen.
Behörde berief sich auch auf Staatsräson zu Israel
Keines der Strafverfahren sei abgeschlossen, kritisierte das Gericht. Das LEA sei nicht seiner Pflicht nachgekommen, sämtliche Akten zu den Strafverfahren auszuwerten. Laut Verwaltungsgericht ist eine strafrechtliche Verurteilung zwar nicht zwingend nötig für den Entzug der EU-Freiheitsrechte. Dann aber müsse aber noch stärker im Einzelfall das Verhalten auf eine „gegenwärtige, hinreichende schwere Gefahr“ individuell geprüft werden. Doch das ist laut Gericht nicht geschehen. Die Gefahr könne auch nicht mit zahlreichen Straftaten aus dem Bereich der Kleinkriminalität begründet werden.
So werden dem Iren drei Beleidigungen vorgeworfen, also Bagatelldelikte. Zudem werde ihn ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz bei einer Pro-Palästina-Demonstration im Mai in Kreuzberg vorgeworfen, bei der es zu Randale gekommen war. Auch die drei Verfahren zum Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Aktionen reichen dem Gericht nicht für die Gefahrenprognose. Es geht um das Rufen der Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“. Bislang gebe es keine gefestigte Rechtssprechung in Deutschland, dass die Parole strafbar ist.
Das Gericht wird sich mit dem Fall des Iren noch eingehend im Hauptsacheverfahren befassen, weil er auch Klage eingereicht hat. Die Hürden für eine Ausweisung könnten sogar noch höher sein, weil er länger als fünf Jahre in Deutschland lebt und damit ein Daueraufenthaltsrecht erworben hat. Die Innenverwaltung will die Akten der Strafverfahren anfordern, sobald das ohne Gefahr für die Ermittlungen möglich sei, „um die Vorwürfe noch substantiierter darlegen zu können“, sagte eine Sprecherin.
Auch die anderen drei Betroffenen wehren sich im Eilverfahren gegen die Ausweisung. Es entscheiden jedoch jeweils andere Kammern – wann, ist noch offen.
Das Verwaltungsgericht hat sich im ersten Beschluss zu einem Detail des Bescheids nicht geäußert. Das LEA hatte darin an das Existenzrecht Israels als deutsche Staatsräson erinnert. Es liege „im erheblichen gesellschaftlichen und staatlichen Interesse, dass diese Staatsräson jederzeit mit Leben gefüllt wird“ und keine „Zweifel daran aufkommen, dass gegensätzliche Strömungen im Bundesgebiet auch nur geduldet werden“.
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