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Susanne Meyfarth (1950-2016)

© privat

Berlin: Susanne Meyfarth (Geb. 1950)

Unterricht unter Wellblechdächern und Bäumen. Am glücklichsten war sie in Afrika

Wollen wir nach Afrika gehen?“

Andere Leute fragen sich, ob sie am Samstag mal ganz spontan ins Brandenburgische fahren oder wochentags die Spätvorstellung eines Filmes besuchen sollten. Susanne und Konrad ließen einen Kühlschrank und einen Herd und ihr Auto in einen Container verfrachten, schlossen ihr Zehlendorfer Haus hinter sich ab und flogen los, erst nach Harare und dann weiter nach Gweru in der Mitte von Simbabwe.

Später konnten sie gar nicht mehr sagen, wer von ihnen zuerst auf die Afrika- Idee gekommen war. Es ging gar nicht um ein Abenteuer, gerade Susanne war eine vorsichtige Person, die mit ihrem Fahrrad lieber auf dem Gehweg fuhr und sich dafür von einem Polizisten zurechtweisen ließ. Auch erschien ihnen ihr Berliner Leben nicht fad, beide hatten jahrelang an Gymnasien unterrichtet, Susanne Chemie und Biologie, Konrad Mathematik und Physik, sie waren in die Oper gegangen, hatten Tauchtouren unternommen, mit Freunden gelacht und debattiert, waren weit gereist, doch jetzt wollten sie die Welt auf eine andere, eine umfassendere Weise erfahren, nicht nur für zwei, drei komfortable Hotelwochen, inklusive Sonnenuntergang und Meeresrauschen.

Geblieben sind sie sechs Jahre, und wenn sie nach den sechs Jahren sagten: „Hier haben wir die glücklichste Zeit unseres Berufslebens verbracht“, wunderten sich die Afrikaner, und bewunderten sie auch, darüber und dafür, dass Menschen freiwillig ihr reiches Europa verlassen.

Sicher, sie mussten sich erst zurechtfinden. Mussten tagelang ohne Strom zurechtkommen, Wasser aus einem Brunnen pumpen. Wie winzig aber diese Widrigkeiten im Vergleich zu allem, was sie rochen, schmeckten, sahen, was sie verstanden. Der unablässig herabstürzende Regen im Winter, das dann grüne Gras der Savanne, die mächtigen Affenbrotbäume und grazilen Antilopen, Sadza, der Brei aus Mais, den man mit den Fingern der rechten Hand zu Kugeln formt. Die Armut, die Dürre, das zunehmend diktatorische Mugabe-System. Und die Menschen.

Sie bildeten Lehrer aus, Susanne in Biologie, vor Ort, am „Teachers College“ in Gweru und in Gegenden, die man erst nach tagelanger Autofahrt erreicht. Sie mochte diese Touren durch trockene Ebenen und immergrüne Wälder, um dann mit den Studenten, die Männer mit Krawatte, die Frauen in hübschen Kleidern, unter Wellblechdächern oder Bäumen zu sitzen.

Die Wege, die sie in ihrer Kindheit zurückgelegt hatte, waren dagegen überschaubar, von einem holsteinischen Dorf in eine holsteinische Kreisstadt und während der Sommerferien an die Ostsee. Auf ihrem Mädchengymnasium hatte sie die besten Noten geschrieben und einen Moment lang mit dem Gedanken gespielt, Mathematik zu studieren, den Mut dazu dann doch nicht gefunden, Mädchen, meinte sie, werden keine Mathematiker. So wurde sie Lehrerin und folgte darin zumindest ihrer Naturwissenschaftsbegeisterung. Noch zaghaft und allmählich entdeckte sie, wie weit die Welt ist, wechselte von der Uni in Kiel an die FU in Berlin und entschied sich, in dieser Stadt zu bleiben. Sie mochte den Oberstufenunterricht mehr als den in den unteren Jahrgängen, denn die Erziehung lag ihr weniger als das Fachliche. Warum sind Blätter grün? Wie entstehen Makromoleküle? Was hat es mit dem „Le Chatelier-Prinzip“ auf sich? Solche Fragen wollte sie beantworten, nicht dauernd die adoleszenten Rumzappler und Reinrufer beschwichtigen. Sie war klein und schmal, es fiel ihr schwer, laut für Ruhe zu sorgen, wenn sie vorn ein Experiment vorführte, während in den hinteren Reihen die Jungs Grimassen schnitten und die Mädchen kicherten. Auch unter Erwachsenen posaunte sie nicht Meinungen und Urteile heraus, und wenn sie das Gerede eines anderen mal unerträglich fand, fragte sie in sanfter Ironie: „Darf ich auch mal etwas sagen?“ Stürme, Dramen, Pathos ertrug sie nur, wenn Richard Wagner ihr Urheber war. Zig Mal sah sie den gesamten „Ring“, konnte sich aber auch an Mozarts komplexer Leichtigkeit berauschen. Sie spielte selbst die Geige in zwei Orchestern.

Nach der Afrikazeit arbeitete sie wieder an einer Berliner Schule, lehrte dann Biologiedidaktik an der FU, leitete das Institut nebenbei mehrere Jahre.

Stieg jeden Tag auf ihr Fahrrad, Körbchen hinten, Körbchen vorn, und fuhr bis Dahlem-Dorf. Nahm auch nach ihrer Pensionierung vor drei Jahren selten das Auto. Schaffte mühelos lange Strecken, den Donau- und Elbe- und Saaleradweg.

Am 26. Februar, es war ihr 66. Geburtstag, hatte sie sich gegen elf auf den Weg gemacht, ein paar Dinge besorgen, später hatte sie sich mit Konrad zum Sport verabredet, am Abend wollten sie in die Philharmonie. In der Onkel-Tom-Straße versperrte ein Krankenwagen den Weg. Sie musste stehen bleiben. Hinter ihr hielt ein Lkw. Dann fuhr der Lkw los.

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