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Unbändige Freude. Auf dem Oranienplatz in Kreuzberg feiern Syrer am Sonntag den Sturz Assads.

© REUTERS/ANNEGRET HILSE

Update

„Syrien ist frei!“: Tausende feiern in Berliner Ortsteilen Neukölln und Kreuzberg den Sturz Assads

Die Einnahme der Hauptstadt Damaskus durch Rebellen hat bei Syrern in Berlin große Freude ausgelöst. Am Oranienplatz kommen mehrere tausend Menschen zusammen.

Stand:

Nach dem Machtwechsel in Syrien feierten Tausende Syrer an mehreren Orten in Berlin den Sturz des Diktators Baschar al-Assasd. Am Sonntagmittag versammelten sich nach einer Schätzung der Polizei zunächst ungefähr 5000 Menschen auf dem Kreuzberger Oranienplatz, ehe sie in Richtung Oberbaumbrücke zogen. Am Oranienplatz war schon vor den Nachrichten der Nacht für 13 Uhr eine Kundgebung unter dem Motto „Solidarität mit der syrischen Revolution“ angemeldet worden.

Doch bis 13 Uhr wollte niemand warten. Schon vorher kamen viele Feiernde zusammen und schwenkten syrische Flaggen. Nach Auskunft einer Polizeisprecherin war die Stimmung „relativ fröhlich“. Die Kundgebung wandelte sich zum späten Nachmittag in einen Aufzug, der mit Trommeln, Fahnen und Chören in Richtung Oberbaumbrücke zog.

Wie ein Polizeisprecher dem Tagesspiegel am Abend mitteilte, zogen einige Teilnehmende im Anschluss in Richtung Neukölln, wo sich bereits am Vorabend etwa 100 Personen versammelt hatten.

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Laut dem Sprecher wurde am Hermannplatz eine Kundgebung genehmigt. Hunderte Personen fanden sich dort ein. Autokorsos seien jedoch nicht erlaubt, betonte er. In ihrem offiziellen WhatsApp-Channel informierte die Polizei: „Eine Kundgebung in diesem Bereich ist erlaubt und wird von unseren Kräften betreut. Was jedoch nicht gestattet ist, sind Autokorsos! Bitte lassen Sie Ihre Autos stehen und kommen, wenn möglich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Kundgebung.“

Auch in Prenzlauer Berg wurde am Abend ein Korso gestoppt. Wie die „B.Z.“ berichtet, bewegte sich dieser allerdings wegen Hochzeitsfeierlichkeiten über die Landsberger Allee. Laut dem Polizeisprecher sei das Verbot von Autokorsos aber fortan keine gängige Praxis. Der Einsatzleiter hätte diesen Ansatz lediglich für das Geschehen am Sonntag gewählt. Wie die Polizei außerdem mitteilt, wurden die Einsatzkräfte bei den Kundgebungen am frühen Abend mit Pyrotechnik beworfen. Dennoch sei die Lage wesentlich gelassener als bei pro-palästinensischen Demonstrationen, so der Sprecher.

Entfesselte Freude am Oranienplatz in Kreuzberg

Am Oranienplatz stand am Mittag „Freiheit für Syrien“ oder „Our hope for democracy“ auf Regenschirmen und Schildern und allem, was man beschriften kann. Autos fuhren hupend zum Platz, Menschen schwenkten Fahnen.

Sprechchöre für ein freies Syrien. Junge Männer feiern auf dem Oranienplatz in Kreuzberg die Nachrichten aus der Nacht.

© REUTERS/ANNEGRET HILSE

In der Mitte der Versammlung spielte ein Mann feierlich auf einer Trommel, die Menge um ihn herum tanzte. Die Stimmung in der syrischen Community in Kreuzberg ließ sich zweifellos als beglückt beschreiben. „Syrien ist befreit von der Diktatur und vom brutalsten System ever. Syrien ist frei!“, sagte Tami. Er war aus dem Wedding zum Oranienplatz gekommen.

„Assad ist nicht für immer“, sang die Menge, während sich der Oranienplatz zusehends füllte. „Syrien hat gewonnen.“ Es war fast kein Durchkommen mehr, die Menschen standen Schulter an Schulter und besangen die Befreiung ihrer Heimat von der Diktatur.

Einige zündeten Feuerwerksraketen. Die Polizei untersagte das per Lautsprecher, auch die Ordner der Demonstration versuchten, beruhigend auf die Menschen einzuwirken. Doch in der Begeisterung ließ sich der Überschwang kaum bändigen.

„Es ist ein geerbter Schmerz, über Generationen hinweg – das heute ist ein Schritt Richtung humanitärer Befreiung!“, sagte Ala. Er und seine Freundin lagen sich in den Armen, beide waren zu Tränen gerührt.

Ala kommt aus Syrien und wohnt in Berlin. Am Sonntag war er spontan zum Oranienplatz gekommen.

© Tsp / Seval Tekdal

Nebenstraßen, die zum Oranienplatz führen, waren über Stunden verstopft. Die Leute hupten, hatten ihre Musik aufgedreht, viele stiegen schließlich aus dem Wagen aus und liefen mit ihren Fahnen zum Oranienplatz. Angekündigt waren 400 Menschen für die Demonstration, doch es kamen ein Vielfaches.

Schon seit Tagen in gebannter Erwartung

Die in Berlin lebenden Syrer haben in den vergangenen Tagen die Lage in der alten Heimat über Social Media verfolgt. Auch in Marzahn-Hellersdorf, wo viele ehemals Geflüchtete wohnen, waren die Menschen in der Nacht zu Sonntag am Handy und vor dem Internet-Fernseher. Frauen hofften unter Tränen darauf, unter den aus den Foltergefängnissen Assads befreiten Männern nach Jahren geliebte Angehörige wiederzuerkennen. Viele sind indes schon tot.

Vor Aufregung und um die Ereignisse im alten Heimatland zu feiern, reisten auch einige Verwandte von in Berlin lebenden Familien aus anderen Teilen der Bundesrepublik in die Hauptstadt. Sie feiern und hoffen jetzt gemeinsam auf eine neue, friedliche Regierungsbildung.

Auch ein eingebürgerter, aus Syrien stammender junger Mann teilte am Oranienplatz seine Freude. „Es waren jetzt auch Kinder von Oppositionellen dabei, die 2015/16 die friedliche Revolution angestrebt haben“, die jetzt von den Menschen überall im Land durchgelassen worden seien auf dem Weg nach Damaskus.

Die Syrerin Roaa wohnt seit einigen Jahren in Berlin.

© Tsp / Seval Tekdal

„Ich bin stolz und doch auch schockiert über die schnelle Entwicklung, aber es ist ein positiver Schock“, sagte Roaa. „Ich bin hoffnungsvoll, dass das, was jetzt für Syrien kommt, besser sein wird.“

Auch Ahmed (18) und sein Bruder Kanj (28) waren am Oranienplatz. Ahmed war sechs Jahre alt, als er aus Syrien flüchtete. Er fuhr gerade mit auf dem Motorrad seines Cousins, als eine Bombe explodierte. „Mein Cousin ist vor meinen Augen gestorben“, sagt er. Mehrere Jahre lebten seine Familie und er im Libanon. 2021 kamen sie nach Deutschland.

Ahmed ist Schüler, sein Bruder hat inzwischen eine Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker absolviert. Beide wollen nach Syrien zurückkehren – zumindest für eine Weile, um das Land wiederaufzubauen. „Wir sind glücklich, dass Syrien frei ist“, sagt Ahmed. „Dann sind die Leute nicht umsonst gestorben, die dafür gekämpft haben.“

Lange verharrte die Menge am Oranienplatz.

© REUTERS/ANNEGRET HILSE

Osama (30) aus Spandau ist mit seiner Cousine Reem (22) gekommen, die in Prenzlauer Berg wohnt. Er ist 2012 aus Syrien geflüchtet. Die Armee hatte ihn eingezogen, er sollte im Krieg kämpfen. Osama weigerte sich. „Ich wollte mein Volk nicht ermorden“, sagt er. Mit seiner Familie floh er zunächst nach Ägypten, später nach Deutschland.

Seit 2014 lebt Osama in Berlin. Im vergangenen Jahr bekam er die deutsche Staatsbürgerschaft. Für den ausgelerneten Fachmann für Schutz und Sicherheit war der Tag im Februar ein Meilenstein in seinem Leben. Seitdem bezeichnet sich Osama als Syrer und als Deutscher.

Unter der Flagge drückten die Teilnehmer ihre Freude über den Sturz Assads aus.

© REUTERS/ANNEGRET HILSE

Assads Sturz fühle sich für ihn, wie für viele andere Syrer, wie ein neuer Geburtstag an. Warum? „Wir können endlich zurückkehren, ohne erschossen zu werden.“ Einer seiner Cousins starb im Gefängnis, nachdem er unter dem Assad-Regime auf einer Demo verhaftet worden war.

Osama hofft und vertraut darauf, dass Syrien jetzt frei und demokratisch wird. Die Anzeichen, die er dafür sieht, seien vielversprechend. Dass die Rebellen in Aleppo einen christlichen Bürgermeister eingesetzt hätten, sei beispielsweise so eines. Sollte sich diese Hoffung bestätigen, will er hingehen und beim Aufbau helfen. Dann wieder nach Deutschland zurückkommen. Denn: „Beide Länder sind jetzt für mich Heimat.“

Gegen 17 Uhr erklärte der Versammlungsleiter die Demonstration für beendet. An der Oberbaumbrücke rief ein Junge: „Danke Deutschland!“ Wieder war eine Trommel zu hören – inzwischen leise.

Erste Feiern am Samstag in Erwartung von Assads Sturz

Spontane Feiern, Autokorsos und Hupkonzerte gab es bereits am Sonntagmittag auf der Sonnenallee in Neukölln. Am Samstagabend kamen gegen 21 Uhr die etwa 100 Personen auf dem Hermannplatz zu einer „Freudenfeier“ zusammen, wie eine Sprecherin der Berliner Polizei dem Tagesspiegel sagte. Auf Flaggen war der Slogan „Free Syria“ zu lesen.

Syrer versammeln sich schon am Samstagabend in der Neuköllner Sonnenallee mit Flaggen vor der Bäckerei Damaskus und feierten den Vormarsch der Rebellen auf Damaskus.

© dpa/Julius-Christian Schreiner

Darunter hätten sich einige wenige pro-palästinensische Teilnehmende gemischt, so die Sprecherin weiter. Diese seien aufgefordert worden, die Palästina-Flaggen herunterzunehmen. Nach etwa einer Stunde ging die spontan angezeigte Demo ohne besondere Vorkommnisse zu Ende.

Ein Autokorso mit jubelnden Menschen zog am Samstagabend durch Neukölln. Die Polizei berichtete von einer Versammlung von Syrern, „die gegen das Kalifat demonstriert haben“. Daran hätten sich Menschen „im mittleren dreistelligen Bereich“ beteiligt.

Kämpfer der Islamisten-Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) hatten am Sonntag die Einnahme der syrischen Hauptstadt Damaskus gemeldet. Zuvor hatten verschiedene Rebellen-Gruppen in anderen Provinzen die Kontrolle übernommen. Vielerorts zogen sich die Regierungskräfte kampflos zurück. Der syrische Machthaber Baschar al-Assad floh nach Angaben des Verbündeten Russland ins Ausland. (mit dpa)

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