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Enkel und Opa: Lenny Neuer hat für die Tagesspiegel-Serie Falk Rohner interviewt.

© Alice Epps

Tagesspiegel-Serie: 20 Wende-Geschichten: Neues Spiel nach anderen Regeln

Falk Rohner war 1989 Direktor im Interhotel „Berolina“ – erst erlebte er die Freude über die Wende, dann das Entsetzen über die Obdachlosen im Westen. Am Ende musste er die Hotel-Angestellten entlassen.

„Die Arbeit änderte sich. Nach und nach wurden viele Mitarbeiter entlassen.“

Aus dem Aufsatz von Lenny Neuer.

Der zehnjährige Lenny und sein Opa Falk Rohner wohnen in einem Haus im idyllischen Rahnsdorf. Vor wenigen Wochen haben sie für den Aufsatz-Wettbewerb erstmals darüber gesprochen, wie das 1989 war. Und der 70-Jährige erzählt seinem Enkel gern von der Wende, von den schönen und traurigen Momenten. Rohner war damals kaufmännischer Direktor im Hotel Berolina an der Karl- Marx-Allee. Am 9. November erfuhren er und seine Frau Renate Neuer aus dem Fernsehen von der Öffnung der Grenzen. Sie beschlossen, gleich zum Grenzpunkt Bornholmer Straße zu fahren, um Neuers Bruder in Frohnau zu besuchen. Doch es gab kein Durchkommen: „Wir standen in der Bornholmer Straße im Stau, und es ging nicht vorwärts und nicht rückwärts.“

"Als wir die Obdachlosen sahen, traf mich der Schlag"

„Und wann bist du dann zum ersten Mal über die Grenze gegangen?“, fragt Lenny. „Gleich am nächsten Tag. Wir haben uns mit Omas Bruder am Ku’damm verabredet.“ Eindrucksvoll waren die Menschenmassen, als sie am Grenzpunkt Friedrichstraße nach West-Berlin kamen. „Und als wir die vielen Obdachlosen sahen, die mit Bierflaschen auf dem Boden saßen, traf mich erstmal der Schlag. Das hat es so in Ost-Berlin kaum gegeben, wo jeder eine Wohnung zugewiesen bekommen hat.“ Auch am Ku’damm war es dann sehr voll: „Menschen, Menschen, Menschen“, erzählt Rohner.

Doch auf Rohner kamen unangenehme Aufgaben zu. Zunächst fürchtete er, dass die Mitarbeiter des Hotels am nächsten Morgen nicht zur Arbeit erscheinen würden. Denn das Hotel war mit 500 Gästen voll belegt – „und die Gäste wollten bestimmt trotzdem morgens Frühstück haben!“, meint Lenny. Zwar war die Grenzöffnung am nächsten Tag das große Thema, doch der Arbeitstag verlief reibungslos. „Wir hatten vor dem Mauerfall eine Betten-Auslastung von 96 Prozent“, erinnert sich Rohner. Mit der Wende gab es jedoch immer weniger Reisegruppen aus dem Ostblock, die in den gefragten Interhotels der DDR, zu denen das Berolina- Hotel gehörte, übernachteten. „Vorher arbeiteten 30 Leute in der Küche des Hotels. Nach der Wende wurden die Waren fertig vorbereitet geliefert, so dass viel weniger Personal nötig war.“ Rohner musste viele Mitarbeiter entlassen. „Ich glaube, da sind mir die ersten grauen Haare gekommen“, sagt er.

Bonner Beamte nannten die Berolina-Zimmer "Legebatterien"

Wegen der sinkenden Auslastung der Betten benötigte man weniger Zimmermädchen, und für Reparaturen beauftragte man externe Betriebe statt der Haushandwerker. „Einige Mitarbeiter waren schon dreißig Jahre im Hotel beschäftigt. Da ist mir die Entlassung sehr schwer gefallen.“ Er selbst konnte bis zur Schließung des Hotels 1995 als kaufmännischer Direktor weiterarbeiten, allerdings mit einigen Veränderungen, die unter der Beratung von Mitarbeitern westdeutscher Unternehmen durchgeführt wurden. „Der Direktor des Hotels und ich mussten – trotz über dreißig Jahren Erfahrung im Hotelwesen – nach West-Berlin fahren, um dort den ,Boulettenschein‘ zu machen“, sagt der Siebzigjährige und lacht. Und auch sein Enkel Lenny prustet bei diesem Ausdruck los. „Hygiene war uns natürlich nicht fremd, aber dennoch sollten wir ein Seminar darüber besuchen.“

Das "Berolina" an der Karl-Marx-Allee von außen. Es wurde 1993 vollständig renoviert, aber 1996 abgerissen.

© akg/Morgenstern

Das denkmalgeschützte Berolina Hotel wurde 1996 abgerissen. Dabei war das Berolina erst 1993 vollständig renoviert worden. Den Ansprüchen der neuen Reisenden entsprach die Zimmergröße im Hotel nicht mehr: „Bonner Beamte, die hier nach der Wende übernachteten, bezeichneten die Zimmer oft als ,Legebatterien‘ “, erzählt Renate Neuer, die nach dem Mauerfall im Entwicklungshilfeministerium arbeitete.

SED-Mitglied, wie 28 der 30 kaufmännischen Direktoren der Interhotels, war Rohner nie. In jungen Jahren hatte er gespannt mitverfolgt, ob eine Gesellschaft auch ohne den Kapitalismus funktionieren könne. Doch als er das sogenannte Lied der Partei hörte mit dem Vers „Die Partei, die Partei hat immer recht“, war ihm klar: „Das kann nicht sein. Eine absolute Wahrheit gibt es schließlich nicht.“

Das ganze Interview von Lenny mit seinem Opa können Sie hier nachlesen.

20 Wende-Geschichten bietet unsere Serie mit Aufsätzen von Berliner Schülerinnen und Schülern. Jeden Tag lassen wir Kinder berichten, was ihre Familien am 9. November 1989 erlebt haben. Die vollständigen Aufsätze finden Sie unter www.tagesspiegel.de/Aufsatz-Wettbewerb.

Jana Scholz

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