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Berlin: Theater für Eilige

Beim Kulturfestival „Boulevard of Broken Dreams“ dauert kein Stück länger als 45 Minuten

Das Kettenkarussell fährt Schrittgeschwindigkeit: Für den richtigen Schwung muss erst einmal der große, rotblonde Schausteller ran. Einmal pro Runde verpasst er jedem Fahrgast einen kräftigen Schubs – wenn er auf seinem DJ-Pult nicht gerade eine neue Soulplatte auflegt. „Mir ist etwas übel“, sagt die 26-jährige Studentin Barbara Kübler nach der dreiminütigen Fahrt. Die achtjährige Anna und ihr gleichaltrige Freundin Martha wollen dagegen gleich nochmal auf das kleine, bunte Karussell mit den kitschigen Engelchen.

Der „Boulevard of Broken Dreams“, den der Niederländer Terts Brinkhoff mit vielen Künstlerkollegen am Humboldthafen aufgebaut hat, sieht mit dem Karussell, den kleinen bunten Holzhäuschen und einem großen, feuerwehrroten Pavillon aus wie ein Jahrmarkt, der aus einer anderen Zeit übriggeblieben ist, vielleicht aus den fünfziger Jahren.

Doch der Boulevard mit dem trashigen Charme ist mehr als ein Jahrmarkt, er ist ein Zeitsparer für alle, die gerne am Kneipentisch von ihrem letzten Theater- oder Konzertbesuch erzählen, dafür aber nicht unbedingt sechs Stunden in der Volksbühne verbringen wollen: Denn auf dem Gelände gibt es Konzerte, Varieté-Aufführungen und Theaterstücke zu sehen, die niemals länger dauern als 45 Minuten, und die mehrmals am Abend gespielt werden.

Zum Beispiel das Stück „Lost and Found“ von Daniel van den Broeke und Erik van Welzen. Das Stück spielt in Suitcase City, einer fiktiven Stadt der verloren Gegenstände. Die beiden Autoren sind auch die Hauptdarsteller, und sie rühren vor Vorstellungsbeginn die Werbetrommel für ihr Stück, auf einer kleinen Bühne vor dem Theater, auf der auch das Kassenhäuschen steht. Fünf Euro kostet der Eintritt, und Erik versucht die Kunden mit einem kühnen Argument zu überzeugen: „Hier drinnen gibt es das Festival der Volksmusik, mit Florian Silbereisen, ungeschnitten“, ruft er den wenigen Besuchern zu, die an diesem Sonntagabend auf das Gelände gekommen sind. Etwa 30 Besucher können die beiden damit in den kleinen Theaterraum locken. Zwei Holzhäuschen weiter, im „Casa Mondo“, führen Eddie Wahr und Kees van der Vooren ihr Stück „Mon Bouillon“ auf, das auf einem Quadratmeter spielt und sich im Wesentlichen mit dem Thema Essen beschäftigt, über das die beiden singen – in holländischer Sprache. Die Übersetzung wird mit einem Beamer an die Wand geworfen. „Wir sprechen nicht so gut Deutsch wie Rudi Carrell oder Linda de Mol“, sagt Eddie Wahr zu Beginn der Show, auf Deutsch, und er ist ziemlich gut zu verstehen.

Gut Deutsch spricht auch DJ Bing, ein Mittdreißiger, der im roten Pavillon, in der „Silent Disco“, elektronische Musik auflegt. Im Moment zum Beispiel solche von Moby. Vier Besucher sind die Treppe zum Pavillon hinaufgestiegen und haben sich die großen Kopfhörer aufgesetzt, mit denen sie Bings Musik hören können. Jeder tanzt für sich, auch die Studentin Barbara, die sich nach zwei Theaterstücken eine Pause gönnt. „Ich glaube, ich habe für heute genug Kultur gesehen“, sagt sie. Und sicher auch genug Gesprächsstoff für die nächsten Kneipenbesuche gesammelt.Rita Nikolow

Das Festival „Boulevard of Broken Dreams“ ist bis Sonntag täglich von 17 bis 1 Uhr geöffnet. Bis 18 Uhr ist der Eintritt gratis, danach kostet er drei Euro. Studenten, Kinder bis 12 und Senioren haben kostenlosen Zugang zum Gelände. Die Vorstellungen, die auf dem Boulevard angeboten werden, kostet jeweils zwischen 1 und 8 Euro Eintritt. Internet: www.bobd-festival.com.

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