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Berlin: TIPPS ZUM JUBILÄUM „Am Weg in den Morgen der Menschheit“ „Nach dem Parteitag meldet sich die PDS bundespolitisch zurück“

Die eingemauerten West-Berliner bejubelten am 26. Juni 1963 John F. Kennedy – deswegen besuchte Nikita Chruschtschow zwei Tage später Ost-Berlin Der Berliner Landeschef Stefan Liebich erwartet am Wochenende sozialistische Reformalternativen und ein Ende der parteiinternen Krise

„Ich bin ein Berliner“ – Vierzig Jahre ist es am Donnerstag her, dass John F. Kennedy den Berlinern seinen legendär gewordenen Satz vor dem Schöneberger Rathaus zurief. Am historischem Ort wird am Donnerstagabend ab 17 Uhr an den Kennedy-Besuch von 1963 mit einem Festakt erinnert. Das Deutsche Historische Museum zeigt anlässlich Jahrestages von Donnerstag an und noch bis zum 13. Oktober die Ausstellung „John F. Kennedy“ im Pei-Bau über das Leben des ehemaligen amerikanischen Präsidenten. Zum Vortrag „John F. Kennedy und Checkpoint Charly“ lädt das Mauermuseum am 26. Juni um 11 Uhr ein. msch

Die Nervosität der DDR-Führung war vor dem Kennedy-Besuch groß: Was hatte der charismatische Chef der anderen Weltmacht in West-Berlin mitzuteilen? Spräche er nicht der Mehrheit der Berliner aus dem Herzen, wenn er – das Passierscheinabkommen gab es noch nicht – die Freizügigkeit innerhalb der Stadt fordern würde? Was geschieht, wenn sich halb Ost-Berlin auf den Weg macht, um den Hoffnungsträger (der vor kurzem die Russen dazu gebracht hatte, ihre Raketen aus Kuba abzuziehen!) irgendwie zu Gesicht zu kriegen, und sei es auch nur von fern am Brandenburger Tor?

In der DDR gab es für alles eine Lösung. Dass die Leute am Radioapparat hingen, konnte der Staat ebenso wenig verhindern wie den Blick in den Fernsehapparat. Aber auf der Straße konnten die Herren vom Schlapphut-Kombinat ihre Henkeltäschchen am Handgelenk baumeln lassen – die Firma Horch und Guck hatte Großeinsatz, vor allem Unter den Linden. Hier war Kennedy nur fünf Minuten entfernt, also so nah, als ob wir heute vom Pariser Platz durchs Tor spazieren – und doch stand er auf der anderen Seite der Welt. Die SED-Volkskunstschaffenden hatten sich etwas sehr Dummes einfallen lassen – eine zusätzliche Mauer aus rotem Fahnenstoff. Die Bahnen hingen zwischen den Säulen des von der Geschichte malträtierten Brandenburger Tores, sie sollten natürlich den Blick von Ost nach West verhindern, aber die Propaganda machte daraus, dass dem US-Präsidenten „mit den roten Bannern der Arbeiterklasse die Grenzen seiner Macht“ aufgezeigt wurden. Dem gemeinen DDR-Bürger stieg die Schamröte ins Gesicht, er war traurig über die Arroganz der Mächtigen und die eigene Ohnmacht. Und im „Neuen Deutschland“ stand: „Blick auf die Wahrheit raubte Kennedy den Überblick über die Lage“. Man hatte vor das Tor auf hohen Tafeln den Text des Potsdamer Abkommens in Englisch platziert und in das Foto vom vernagelten Grenzbauwerk Heinrich Heines „Belsazar“ eingeklinkt: „Der König stieren Blicks da saß, mit schlotternden Knien und totenblaß“. Dazu passt denn auch, was ND-Chefkommentator Dr. Günter Kertzscher seinen Lesern einreden möchte: Der „kalte Krieger“, „Revanchist“ und „Repräsentant des Weltimperialismus“ habe bei seiner Rede die Nerven verloren: „Waren das nicht die antikommunistischen Tiraden von Hitler und Goebbels, die in Schöneberg aus den Lautsprechern quollen?“

Während die Zeitungen in West-Berlin seitenlang über den Besuch des Neu-Berliners berichten, holen die Ost-Agitatoren ihren gewaltigen Trumpf aus dem Ärmel – eine kugelrunde, glatzköpfige, temperamentvolle und hochkarätige Geheimwaffe, die die Seite Eins aller (Ost-)Zeitungen beherrscht: Morgen kommt der Vater des Kosmonautenvolkes, unser lieber Freund Nikita Sergejewitsch Chruschtschow! War das eine Überraschung! So wichtig ist Berlin einmal gewesen, dass die beiden Vips of the world innerhalb von zwei Tagen in die Stadt geflogen kamen. „Hätten se ooch bessa abstimmen könn’, um sich mal wieda zu treffen – am besten oben druff uff de Mauer!“ sagten die Berliner. Zufälligerweise wurde SED-Chef Walter Ulbricht 70, und da traf es sich gut, anlässlich Nikitas siebenter DDR-Visite das Hauptstadt-Volk an den Straßenrand ins Spalier zu beordern. Eine halbe Million auf der Straße, „die Hauptstadt in Hochstimmung“, „ein großes nationales Ereignis“, schrieb das Neue Deutschland. Und in dem Bestreben, den Westen zu toppen, ließ das ND seinen Polit-Lyriker eine Ode an Nikita Chruschtschow dichten: „Willkommen im Zeichen der Freundschaft: den lodernden Feuern der Fahnen, dem Siegerlächeln der Kumpel, den dankbaren Augen der Mütter, den Tränen der alten Genossen, den Hochrufen, Hymnen der Herzen! Am Weg des Konvois, im muntren Gedränge der dichten Spaliere auch ich. Am Weg in den Morgen der Menschheit.“

Ein paar Tage vor dem Sonderparteitag in Berlin dümpelt die PDS orientierungslos vor sich hin. Noch-Parteichefin Zimmer sprach am Wochenende von einer existenzbedrohenden Krise der Partei, und niemand hat ihr widersprochen. Warum nicht? Haben Sie schon resigniert?

Der Parteitag am Wochenende ist unsere Antwort auf die Krise, in der wir uns befinden. Wenn wir jetzt nicht auf die in der Gesellschaft geführten Debatten antworten, dann gibt es auch keine bundespolitische Notwendigkeit für die PDS. Wir werden am Wochenende Antworten präsentieren. Nach dem letzten Parteitag in Gera hat sich die PDS erst einmal intern auseinander gesetzt. In der Debatte ging es darum, ob die PDS zu wenig laut und radikal ist, oder ob sie tatsächlich zu wenig Antworten auf bestehende Fragen hat. Ich war immer letzterer Auffassung. Ich bin sicher, dass wir uns nach dem Parteitag am Wochenende wieder bundespolitisch zurückmelden werden.

Agenda 2010, die Abschaffung der Eigenheimzulage, Stichwort Ostdeutschland: Der PDS laufen die eigenen Themen weg. Wozu braucht man die PDS überhaupt noch ?

Man braucht die PDS in diesen Zeiten umso mehr, weil diese Themen falsch beantwortet werden. Rot-Grün hat mit der Agenda 2010 keine Lösung für real existierende Probleme. Es findet durch die Agenda eine ungerechte Behandlung insbesondere des Ostens statt, wenn man Menschen keine Arbeit anbieten kann, sie aber dafür bestraft, dass sie keine Arbeit finden. Die PDS hat mit ihrer Agenda Sozial eigene Antworten erarbeitet.

Zimmer spricht vom letzten Parteitag in Gera als ein „Absturz in die kulturelle Barbarei“. Geben Sie ihr Recht?

Ich war mit den Ergebnissen von Gera nicht zufrieden. Gabi Zimmer hatte den Parteitag weniger kritisch als ich gesehen. Aber ich würde diese Formulierung nicht verwenden. Da fühle ich mich an Völkerstämme erinnert, die mit Keulen aufeinander einschlagen. So schlimm war es in Gera nicht.

Außer den zwei fraktionslosen Abgeordneten im Bundestag tritt die PDS nur noch in den Regierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern auf. Wahrgenommen wird sie aber kaum. Haben Sie Angst aufzufallen und Fehler zu machen?

In Berlin werden wir in der Regierung wahrgenommen. Auch dort, wo wir in der Opposition sind, werden wir auf Landesebene wahrgenommen. In Thüringen und Sachsen ist die PDS zweitstärkste Partei und kämpft um Regierungsbeteiligung. Das Problem ist die schlechte bundespolitische Wahrnehmung. Das wird auch die neue Parteispitze nicht beheben können. Wir müssen zurück in den Bundestag. Das ist unser Ziel.

Laut jüngsten Umfrageergebnissen käme die PDS in Berlin nur auf 13 Prozent – zehn Prozent weniger als bei den letzten Abgeordnetenhauswahlen. Rot-Rot scheint ausgedient zu haben. Was wollen Sie dem entgegensetzen?

Nachdem Gregor Gysi sein Amt als Wirtschaftssenator aufgegeben hatte, haben wir schlechte Umfrageergebnisse erzielt. Seitdem sind wir stabil. 13 Prozent sind natürlich nicht ausreichend. Wir haben aber eine Chance: Wenn wir den Wählern noch besser erklären, wie die Bedingungen in Berlin sind, welche Entscheidungen wir treffen müssen, und was wir deshalb für Prioritäten setzen.

Hand aufs Herz: Macht Ihnen Politik zurzeit Spaß?

Wir sind nicht in die Regierung eingetreten, um Spaß zu haben. Wir erfüllen eine Aufgabe. Depressiv bin ich jedenfalls nicht.

Das Gespräch führte Sabine Beikler.

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