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Berlin: Trick mit dem Enkel

Der Betrug von angeblichen Verwandten boomt Das Gericht zeigte gegen zwei Täterinnen Härte

Er gilt als Klassiker unter den Betrügereien, der sogenannte Enkeltrick. Ein altes Eisen ist er aber nicht. Die Zahlen steigen explosionsartig. Das erste Halbjahr 2010 war schlimmer als das gesamte letzte Jahr. „Würde es die Öffentlichkeit verstehen, wenn wir Bewährung geben?“, fragte Richter Sascha Daue gestern – und gab die Antwort gleich selbst: „Nein.“ Auf der Anklagebank saßen zwei Frauen, die sich nach einem Trickbetrug zulasten einer 75-jährigen Rentnerin vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten mussten. Eine soll für 18 Monate, die andere für 14 Monate hinter Gitter.

Es war Erika T., die am 24. Juni einen unerwarteten Anruf bekam: „Hallo Oma, rate mal, wer hier spricht.“ Sie hörte die freundliche Stimme eines Mannes. Die Witwe überlegte. „Ich dachte, dass es der Mann meiner Enkelin sein könnte.“ Er berichtete von einer finanziellen Notlage. Das Übliche bei der perfiden Masche, bei der sich Täter am Telefon als Enkelkinder oder Neffen ausgeben. Erika T. wollte helfen. So ist es ihre Art. Der Anrufer drängte. Die Rentnerin ging gleich zur Bank. Er schickte dann eine angebliche Freundin, weil er leider verhindert sei. 10 000 Euro, ihre gesamten Ersparnisse, übergab Erika T. kurz darauf vor ihrem Wohnhaus in Weißensee.

Bereits über 1000 Enkel-Anrufe registrierte die Berliner Polizei in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. Der Schaden betrage über eine Million Euro, sagte Gregor Ott von der Sonderkommission „Enkeltrick“ im Prozess. 582 Fälle hatte die Berliner Polizei im Vorjahr bearbeitet. 77 Mal fielen ältere Bürger auf den Betrug herein. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen, schätzen die Ermittler. Oftmals zeigen Senioren aus Scham darüber, dass sie übers Ohr gehauen wurden, die Taten gar nicht an.

Die beiden Frauen auf der Anklagebank stammen aus Polen. Silvia L. und Sandy P., 22 und 19 Jahre alt, gehörten aus Sicht des Amtsgericht zu einem „Team“, das ein vermutlich von Polen aus agierender Boss in die Spur schickte. Bei dem „Enkeltrick“ habe man es mit „hoch organisierten“ Gruppen zu tun, sagte der Experte von der Polizei. „Die Anrufe werden vom Ausland, vor allem Osteuropa aus getätigt.“ Die Täter suchen ihre Opfer aus dem Telefonbuch aus – nach Vornamen, die altertümlich wirken. Wird ein Opfer übertölpelt, werden „Abholer“ losgeschickt. Im Falle von Erika T. war es Silvia L., die das Geld übernahm.

„Es sind Taten zulasten der Schwächsten der Gesellschaft“, hieß es im Urteil. „Ihnen wird alles abgenommen.“ Erika T. allerdings hatte großes Glück. Die Fahnder hatten in der Kantstraße eine verdächtige Gruppe entdeckt. Man folgte dem Taxi, in das Silvia L. eingestiegen war. Zuvor soll Sandy P. dem Fahrer die Adresse genannt haben. „Ein Glied greift ins andere“, sagte der Richter. Doch am 24. Juni konnte die Polizei einen Erfolg verbuchen: Für die beiden Frauen klickten die Handschellen, die betrogene Rentnerin bekam ihr Geld zurück. Kerstin Gehrke

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