zum Hauptinhalt

SPD-Politikerin Öney will Debatte ohne Hysterie: "Türken müssen Ängste von Deutschen verstehen"

Bilkay Öney, 40, wuchs als Kind türkischer Einwanderer – ihre Eltern sind beide Lehrer – in Spandau auf. Die Abgeordnete trat 2009 aus der Berliner Grünen-Fraktion zur SPD über.

Frau Öney, Sarrazin schreibt in seinem Buch: „Keine andere Immigration ist so stark wie die muslimische mit Inanspruchnahme des Sozialstaats und Kriminalität verbunden. Keine Gruppe betont in der Öffentlichkeit so sehr ihre Andersartigkeit, insbesondere durch die Kleidung der Frauen.“ Stimmen Sie der Aussage zu?

Verschleierte Frauen grenzen sich zumindest optisch ab. Wenn wir uns die Intensivstraftäter-Statistik ansehen, tauchen Türken und Araber auch häufiger auf. Dennoch halte ich nichts von Verallgemeinerungen und der Kriminalisierung dieser Gruppen.

Kenan Kolat, Bundesvorstand der Türkischen Gemeinde in Deutschland, bezeichnete Sarrazins Thesen als „intellektuellen Rassismus“. Fühlen Sie sich als Migrantin diskriminiert von Sarrazin?

Ich fühle mich von Sarrazins Thesen überhaupt nicht angesprochen. Ich würde mir wünschen, dass viele Türken gelassener und deutlich selbstbewusster damit umgehen. Sarrazin schießt sich mit seinen Thesen selbst ins Abseits. Das ändert aber nichts am eigentlichen Problem.

Was ist das eigentliche Problem?

Wir reden von sozialen Problemen, meinen aber oft ethnische Probleme und trauen uns nicht, diese offen anzusprechen. Auf Seiten der Migranten haben wir Bildungs- und Integrationsprobleme, Hoffnungslosigkeit und hohe Arbeitslosigkeit. Und das sind nicht nur soziale Probleme. Es gibt sowohl auf deutscher als auch auf türkischer Seite Vorurteile. Dieses Gefühl von Unwohlsein, von Überfremdung bei vielen Deutschen nehmen wir Migranten oft nicht ernst. Die Türken müssen verstehen lernen, warum Deutsche Ängste haben. Sarrazin spricht in seinem Buch viele Ängste von Deutschen an, und deshalb hat er auch so eine große Zustimmung.

Sarrazin schreibt auch sinngemäß, der Zuzug muslimischer Immigranten mache Deutschland „immer ärmer und dümmer“.

Das ist Sarrazins Wahrnehmung. Bezogen auf den muslimischen Anteil an der Gesamtbevölkerung ist das falsch. Aber noch einmal: Man muss in Ruhe über die Thesen diskutieren und nicht in eine Sarrazin-Hysterie verfallen.

Sie sind 2009 von den Grünen zur SPD gewechselt. Soll ihr Parteifreund Sarrazin aus der SPD ausgeschlossen werden?

Ich bin grundsätzlich gegen Parteiausschlüsse. Das löst die Probleme nicht. Die SPD muss sich als Volkspartei mit verschiedenen Meinungen auseinandersetzen. Es gibt auch innerhalb der SPD viele, die ihm zustimmen und sich jetzt erst recht mit ihm solidarisieren, weil der Parteivorstand entschieden hat, ihn auszuschließen. Ein Ausschluss wird unsere Probleme nicht lösen.

Was läuft schief in der Integration?

Die Migranten waren lange Zeit sich selbst überlassen und hatten auch keinen Druck, sich zu integrieren. Nur: Früher gab es genug Arbeit. Jetzt haben wir eine gesellschaftliche Situation, in der es sehr um die Bemühungen des Einzelnen geht, ein gutes Leben zu führen. Um in Deutschland zu bestehen, muss man mindestens die deutsche Sprache sprechen, einen Schulabschluss machen und einen Beruf erlernen. Es ist Eigeninitiative gefragt. Wenn Migranten das nicht machen, ist das grob fahrlässig. Viel zu spät haben wir erst seit 2005 durch das Zuwanderungsgesetz die Verpflichtung für Migranten, sich zu integrieren.

Sie sind Mitglied in der Steuerungsgruppe für Integration auf SPD-Bundesebene, die von Klaus Wowereit geleitet wird. Wowereit sagt, man müsse den Aufstiegswillen steigern, hat aber dafür keine Lösung parat. Haben Sie eine Idee?

Man soll den Migranten nicht dauernd erklären, wie blöd sie sind. Stattdessen sollte man sie darin bestärken, dass sie es schaffen können. Das macht auch Klaus Wowereit. Sarrazin zum Beispiel hätte mit seinem Buch viel mehr erreicht, wenn er positive Beispiele von Integration genannt hätte. Wenn ich den Türken oder Arabern aber immer um die Ohren haue, dass sie zu nichts nutze sind, dann geben sie sich auch keine Mühe mehr.

Das Gespräch führte Sabine Beikler

Bilkay Öney, 40, wuchs als Kind türkischer Einwanderer – ihre Eltern sind beide Lehrer – in Spandau auf. Die Abgeordnete trat 2009 aus der Berliner Grünen-Fraktion zur SPD über.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false