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© Kitty Kleist-Heinrich

Türkische Vätergruppe in Neukölln: „Hier spielt keiner mit seinen Kindern“

Neuköllner Türken suchen an diesem Montag die Öffentlichkeit, um gegen das geplante Betreuungsgeld zu mobilisieren. Sie sind in einer Vätergruppe organisiert – und bezeichnen die Pläne als integrationspolitische Katastrophe.

Jeden Montag um 18 Uhr treffen zwanzig bis dreißig türkische Männer beim psychosozialen Dienst in Neukölln ein. Ein paar sind jung, sehen mit ihren gegelten Haaren, Lederjacken und trainierten Oberarmen aus wie südländische Machos mit Schlägerambitionen. Andere haben ergraute Haare, den Rosenkranz immer griffbereit und riechen nach Kernseife. Sie setzen sich in einen Stuhlkreis im Büro von Kazim Erdogan, der die „Türkische Vätergruppe“ vor fast drei Jahren gegründet hat, weil immer mehr verzweifelte Männer an seine Tür klopften. Gleich werden sie etwas tun, was sie sonst nirgendwo können: Offen und frei über ihre Probleme sprechen. Mit Leuten, die ihre Probleme kennen.

Die Themen sind ein wenig anders als in einer vergleichbaren deutschen Männergruppe. Hier wird über die Last arrangierter Ehen geredet, über den Gedanken, seine Frau umzubringen, weil sie von Scheidung spricht oder warum man den eigenen Kindern zuhören sollte, statt ihnen eine Ohrfeige zu verpassen. Die Männer, die hierherkommen, haben festgestellt, dass sie mit ihren bisherigen Einstellungen ständig anecken. Bei Erdogan wollen sie lernen, wie sie sich in Deutschland verhalten sollen.

Aber auch aktuelle politische Themen beschäftigen sie manchmal. Wie etwa vor vier Wochen, als sie über das Betreuungsgeld sprachen, das die Bundesregierung ab 2013 einführen will. 150 Euro im Monat für Eltern, die ihre Kinder nicht in eine Kita schicken – „das ist eine integrationspolitische Katastrophe“, darin sind sich die Männer einig. „Ein Kind, das vor der Schule kein Deutsch lernt, hat in der Schule und später keinerlei Chancen“, sagt Ali Baba Sönmez, der einen kleinen Sohn hat. Dass die Neuköllner Kinder im türkischen Elternhaus kein Deutsch lernen, daran gibt es keinen Zweifel. „Selbst die Väter und Mütter, die fließend deutsch sprechen, reden zuhause mit ihrem Nachwuchs türkisch“, erklärt Psychologe Erdogan.

Die Wut über den „bisher hirnrissigsten Vorschlag der Bundesregierung“, wie einer sagt, wollten die Teilnehmer der Vätergruppe diesmal nicht für sich behalten. Die aufgeklärten Türken wollen nun gemeinsam mit ihren Frauen in die Offensive gehen und ihre Kritik am Betreuungsgeld an diesem Montag der Öffentlichkeit präsentieren. „Es ist das erste Mal, dass türkische Migranten – ohne Verein oder Verband – eine Pressekonferenz organisieren“, sagt Kazim Erdogan. Es habe leider ein paar Wochen gedauert, das zu organisieren. Aber das Thema sei ja noch nicht vom Tisch.

Von Erdogan haben die Männer gelernt, sich besonnen auszudrücken. Also formulieren sie ihr offensichtliches Entsetzen über das Geldgeschenk für Hausmütter indirekt – sie geben dem Migrations-Hardliner Heinz Buschkowsky recht. Der Neuköllner Bürgermeister (SPD) hatte kritisiert, dass das Geld in seinem Bezirk wohl kaum zweckmäßig eingesetzt werde. „Wir stimmen Buschkowsky zu, der sagt, dass hier keiner mit den Kindern spielt oder ihnen etwas vorliest“, schreiben ein paar von ihnen in einer Pressemitteilung, die ein Journalist für sie übersetzt hat. Von Erdogan haben die Männer noch etwas Fundamentales gelernt, was sie an diesem Montag stolz vorführen wollen: Dass Frauen ein Recht auf Selbstbestimmung haben. Sogar ihre eigenen.

„Wenn die Politik Geld fürs Zuhausebleiben bietet, werden viele junge Frauen nicht mehr versuchen, zumindest einen Minijob zu finden“, sagt der 65-jährige Dursun Güzel, ein Urgestein der Vätergruppe. Im Moment seien viele Neuköllner Frauen in Minijobs. Das führe sie in die Gesellschaft ein und tue ihnen gut. Und: Wenn es Geld fürs Selberbetreuen gibt, wie soll sich eine junge Muslimin dann noch gegen die Familie und das Gerede der Nachbarn durchsetzen, wenn sie lieber arbeiten gehen will statt Kinder zu hüten? „Man wird sie eine Rabenmutter nennen“, sagt Erdogan. Die anderen nicken.

Am vergangenen Donnerstag saßen einige der türkischen Betreuungsgeldgegner in Erdogans Büro bei einem Familientreffen für Männer und Frauen. Hier gab es einen interessanten Streit: Die Väter argumentierten gegen den Hausmutterjob. Einige der Frauen dagegen verbaten sich diese Haltung. Schließlich sei es wichtig, die Kinder selbst zu erziehen. „Wir reden hier nicht über ein Migrantenproblem“, folgerte Erdogan daraufhin, „sondern über eine gesamtgesellschaftliche Frage.“ Das gefiel den Männern. Sie sind also eindeutig einen Schritt weiter auf ihrem mühsamen Weg in die deutsche Gesellschaft. Ferda Ataman

Ferda Ataman

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