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Checkpoint Biennale. An der Friedrichstraße wurde wieder eine Mauer errichtet, nur ein bisschen weiter südlich – und als Kunstprojekt.

© Thilo Rückeis

Umstrittene Kunst: Kein Frieden an der Peace Wall

Die Mauer an der Friedrichstraße spaltet den Kiez. Eine Anwohner-Initiative sammelt jetzt Unterschriften gegen das Kunstwerk.

Rund 90 Anwohner und Gewerbetreibende mobilisieren gegen die „Peace Wall“. Sie seien „erbost über die politisch instinktlose Entscheidung, das Ghetto Mehringplatz abzuriegeln“, sagt Margit Boé vom Quartier Mehringplatz.

Zusammen mit anderen Bewohnern hat die Französischdozentin deshalb eine Petition gestartet. Sie richtet sich sowohl an Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) als auch an die Verantwortlichen der Biennale. „Diese graue Wellblechwand“, heißt es darin, „verstärkt den trostlosen Eindruck, der das südliche Ende der Friedrichstraße prägt.“ Bemühungen der ansässigen Bewohner, das Viertel um den Mehringplatz zu verschönern, würden damit zunichte gemacht. „Die erhoffte Debatte über die sozialen Unterschiede findet nicht statt“, lautet das Urteil der Unterzeichner.

Diskutiert wird trotzdem. Allerdings weniger über die sozialen Spannungen im Kiez als vielmehr über Sinn und Zweck des fünf Meter hohen Mauerwerks. Auch Gewerbetreibende aus dem angeseheneren nördlichen Teil der Straße haben sich bereits zu Wort gemeldet. In einer Mitteilung der „Interessengemeinschaft Friedrichstraße“ beklagen sich Unternehmer um Geschäftsführer Mateusz Hartwich über das „Verkehrshindernis“. Bislang habe die Mauer vor allem gravierende wirtschaftliche Einbußen verursacht. Sie fordern deshalb die Verlegung des Kunstwerks, etwa in den angrenzenden Besselpark. „Offenbar hat niemand die Nebeneffekte dieser Aktion beachtet“, sagt Hartwich über die Auswahl des aktuellen Standorts.

Ein Streifzug durch die Berlin Biennale in Bildern:

Dass das Kunstwerk nicht nur spaltet, sondern auch neue Verbindungen schafft, sagt hingegen Florian Schmidt. Gemeinsam mit dem lokalen Bildungsnetzwerk hat der Leiter des Projektbüros „Kreativquartier“ am 7. Mai das erste Mauergespräch angeregt. Seitdem streiten sich Befürworter und Gegner mal mehr mal weniger heftig. „Erst die Mauer hat dafür gesorgt, dass sich die Gewerbetreibenden untereinander vernetzen“, sagt Schmidt. Immerhin, einen Unternehmer-Stammtisch zum Thema „Mauerabbau“ gab es bereits. Konkrete Pläne gibt es bisher jedoch nicht.

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel äußern einige Händler unterschiedliche Ideen, wie es weitergehen soll. Aushalten, sagen die einen. Einstweilige Verfügung, die anderen. „An Kunst scheiden sich eben die Geister“, meint Ingeborg Wilhelm. Von Norden aus betrachtet verschwindet ihr Bistro im blinden Fleck hinter der Trennwand. Obwohl ihr Catering-Service dadurch umständlicher geworden ist, spricht sie sich für die Erhaltung der Mauer aus. „Es musste erst eine ausländische Künstlerin kommen, um auf unsere Missstände aufmerksam zu machen“, erklärt Wilhelm.

Die in London lebende Künstlerin Nada Prlja hat sich der Debatte bislang weitgehend entzogen. Gemäß der Philosophie der Kuratoren der 7. Berlin Biennale soll Kunst im öffentlichen Raum wieder politisch und kein Selbstzweck sein. Reaktionen sind durchaus gewünscht und gewissermaßen Bestandteil der Aktion. Insofern haben die Initiatoren eigentlich alles richtig gemacht: An Aufmerksamkeit für den Einfluss von Kunst auf den politischen Entscheidungsprozess mangelt es nicht. Eher an politischem Interesse, findet Margit Boé. Auf eine Stellungnahme von Bürgermeister Schulz warte sie schon länger als eine Woche.

Inzwischen hat eine andere Anwohnerinitiative der Künstlerin vorgeschlagen, die Mauer im Rahmen einer Kunstaktion gemeinsam abzubauen. „Im Grunde hätte ich nichts dagegen“, sagt Prlja „allerdings muss sich vorher etwas ändern“. Von der Mauer erhofft sie sich, dass sie den Benachteiligten im Kiez hilft, sich leichter als bisher Gehör zu verschaffen. Die wirtschaftlich starken Akteure, zu denen Prlja auch die ansässigen Händler zählt, hätten damit kein Problem. Die 41-Jährige will Anfang Juni zu einem zweiten Mauergespräch möglichst alle, Politiker, Vermieter und soziale Schwache, zusammenbringen. Dass sich bis dahin die Stimmung weiter verschlechtern könnte, nimmt Prlja in Kauf. „Manchmal braucht es Krieg, um Frieden zu schließen.“

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