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Berlin: Und die Mira singt dazu

Ein Lied war gesucht: „Berlin kommt wieder“. Das Landesarchiv besitzt Noten und Text, der Tonträger war verschollen. Der Tagesspiegel konnte helfen. Die Witwe des Komponisten, heute in Montreux, fand das Dokument. Jetzt kann man es anhören

Ein Musikstück ist wieder aufgetaucht – Brigitte Mira singt es livehaftig. Das Landesarchiv freut sich. Die Witwe des Komponisten Heino Gaze hat einen Herzenswunsch. Und alles dreht sich um „Berlin kommt wieder“.

Die optimistische Feststellung ist der Titel eines Foxtrotts, den Heino Gaze kurz nach dem Krieg für das gleichnamige Programm bei Willi Schaeffers Kabarett der Komiker geschrieben und komponiert hat. Seine Interpretin war die 29-jährige Brigitte Mira, das Programm hatte am 1. Juni 1945 Premiere. Berlin lag in Trümmern, der Krieg war gerade mal seit vier Wochen vorbei, da spielen die Kabarett und klatschen sich die Hände wund, wenn die Mira trällert:

Mir ist um das Herz so weh, wenn ich durch die Straßen geh; brauchst Berliner nicht zu sein, um zu wissen, was ich mein’. Doch was nützt die Grübelei, was gescheh’n ist, ist vorbei, und trotz allem tief hier drin, glaub ich an Berlin: Berlin kommt wieder – das ist das Lied, das jeder singt und das jetzt wieder so schön in ganz Berlin erklingt. Jawohl, mein Schatz, am Alexanderplatz, am Stern, am Zoo, am Knie ertönt aufs Neue diese Melodie, und wer sie einmal hört, der vergißt sie dann nie: Berlin kommt wieder – wer hätte das von uns gedacht? Ja, es kommt wieder, gewiß, es geht nicht über Nacht, doch ganz genau so wie nach dunkler Nacht die Sonne wieder lacht, so werden Untern Linden Linden blühn. Berlin bleibt doch Berlin!

Das war der Ausdruck jener Zeit, als endlich Friede war. In die Hände spucken, anpacken, nicht unterkriegen lassen. Eigentlich waren das traurige Monate: Männer tot, vermisst oder in Gefangenschaft, Frauen beim Steineklopfen und Enttrümmern, Kinder beim Schwarzmarkthandeln, die Stadt voller Heimatloser, Berliner wie Trauben an den Personenwaggons hängend auf dem Weg in die Speckgürtel-Region, Tauschen, Hamstern, Bitten, Handeln. Mutter Courage unterwegs. Biete Teppich, suche Speckseite. Meinen Schmuck gegen Ihren Schinken, verehrte, gnädige Frau Bäuerin.

Die Stimmung jener Zeitenwende vermittelt die Ausstellung „Berlin kommt wieder“ im Landesarchiv am Eichborndamm 115-121. Dort ausgestellt sind die Noten Heino Gazes mit dem Liedtext der Mira. Der Tagesspiegel gab den Wunsch des Ausstellungsmachers Volker Viergutz weiter: Der suchte die Stecknadel im Heuhaufen, als er fragte, ob jemand ein Tondokument mit der Stimme Brigitte Miras und dem Lied „Berlin kommt wieder“ besitzt. Und tatsächlich: Aus einem kleinen Ort nahe Montreux meldete sich Sonja Gaze, die Witwe des Komponisten. Seit ihrem Umzug von der Grunewaldvilla ins Sommerhaus nach Chernex liest sie „aus Verbundenheit mit der alten Heimat Berlin“ den Tagesspiegel. Sie suchte im Nachlass von Heino Gaze, dem Komponisten so erfolgreicher Schlager wie „Lalelu“ oder „Ha’m Se nich ne Braut für mich?“, und fand schließlich ein Tonband mit der Originalaufnahme des Liedes mit Brigitte Mira: eine Minute, 15 Sekunden. Das kann man sich nun in der Ausstellung über Kopfhörer anhören, während der Langen Nacht der Museen soll der Song per Lautsprecher die Ausstellung beschallen. Eine weitere Gaze-Gabe ist ein Tonband mit der kompletten Wiederaufführung der Revue von 1945 anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins im August 1987 auf dem Bahnhofsgelände Westkreuz unter der Regie von Johannes Felsenstein.

Sonja Gaze erinnert sich an die Zeit, als ihr Mann das Lied kurz nach Kriegsende komponierte: „Wir fühlten uns befreit, es war wunderbar still. Und endlich Frieden!“ In ihrer Biographie „Die barfüßige Tänzerin“ beschreibt sie diese Atmosphäre. In der Kabarett-Revue erwachen die Nachkriegsprobleme, man sitzt im Zug der Zeit und fährt rückwärts, wenn man das Textbuch liest. Die Premiere damals fing übrigens mit einstündiger Verspätung an, da Heino Gaze auf dem Weg zur Aufführung von russischen Soldaten gebeten wurde, ihnen beim Granateneinbuddeln zu helfen. Im Smoking.

Sonja Gazes größter Wunsch ist, dass sich in der Hauptstadt eine Truppe finden möge, die im 60. Jahr nach dem Krieg diese Zeitgeist-Revue noch einmal aufführt. „Ich fände das einfach wunderbar“, sagt die 98jährige begeistert, lobt den „prima Bürgermeister“, verfolgt „alles, was in meiner geliebten Stadt“ geschieht und hofft gespannt, dass jemand noch einmal das Berlin-kommt-wieder-Lied spielt. Nach 60 Jahren könnte es aktuell ganz anders heißen: „Berlin ist wieder da!“

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