zum Hauptinhalt

Berlin: Unterkomplexes Verständnis AUF DEUTSCH GESAGT

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Otto von Bismarck wollte sich mit Rudolf Virchow duellieren. Der Liberale und Mediziner hatte im Preußischen Abgeordnetenhaus gesagt, der Herr Staatsminister verstehe nichts von Außenpolitik. Schließlich verhinderte der Parlamentspräsident das Duell mit seiner Bekundung, das Haus entscheide selbst, was eine Beleidigung sei. 140 Jahre ist das her. Gut, dass heutzutage kaum noch ein politisches Wort auf die Goldwaage gelegt wird. Andererseits gibt es fast gar kein Tabu mehr, und das ist nicht gut.

Im Berliner Abgeordnetenhaus prasseln die Kraftausdrücke und die Tiefschläge. Wolfgang Jungnickel (fraktionslos, früher FDP) hörte sich direkt noch harmlos an: „Der Senat hockt hinter teilweise neurotischen Sparplänen.“ Alexander Kaczmarek (CDU) befand, Senator Thilo Sarrazin (SPD) rede „im Stil eines finanzpolitischen Rambos“. Senator Thomas Flierl (PDS), auch nicht faul, strafte seinen Kritiker Martin Lindner (FDPFraktionschef) mit Verachtung: „Geistloses Rückgrat der FDP.“ Und Benjamin-Immanuel Hoff (PDS) attestierte Lindner ein „bekannt unterkomplexes Politikverständnis“. Was das ist, weiß nur Hoff, jedenfalls nichts Schmeichelhaftes.

Wenn sie keine Gemeinheiten von sich geben, gefallen sich manche Debattenredner überhaupt in irgendeinem Fachchinesisch, als hätten sie sehr Bedeutsames zu sagen. Man wüsste zum Beispiel gern, was Herr Hoff mit so genannten „kontradiktorischen finanzsozialen und wirtschaftspolitischen Voraussetzungen“ meinte und was sich Stefan Zackenfels (SPD) unter einer „relativierten Balance“ vorstellt.

Die Vulgärsprache versteht natürlich jeder. Sibylle Meister (FDP) erklärte die Grünen-Idee einer Kommunalsteuer für Touristen zur „staatlichen Bürger-Abzocke“. Hält sie die Grünen für zwielichtige Glücksspieler? CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer bescheinigte der PDS „dämliche Sprüche“. Und ein SPD-Abgeordneter bekam aus den Reihen der Opposition zu hören: „Schimmler hat ganz rotzig hier bemerkt…“ Wieso sollten eigentlich anderer Leute Meinungsäußerungen Schmuddelkram sein?

Sibyll-Anka Klotz (Fraktionschefin der Grünen) kennt nur „Knäste“, als seien Haftanstalten eine Bösartigkeit des Staates. Auch das Verb stehlen verblasst. „Wer Studienplätze streicht, klaut Berlin die Zukunft“, sprach Lisa Paus (Grüne); die Formulierung fand sich sogar in einem Parlamentsantrag der Grünen. Monika Grütters (CDU) eiferte dem nach: „Es ist der Staat, der den Studenten die Zukunft klaut.“ Man stelle sich die Hände der Senatoren als beutegierige tierische Klauen vor. Wo sind die gewitzten Zwischenrufer geblieben? „Hör doch mal zu, Määänsch!“, hallte es neulich durch den Plenarsaal.

Dies sind nur einige Beispiele aus der ganz gewöhnlichen Alltagssprache in der Politik. Man ist wohl abgestumpft gegen wechselseitige Respektlosigkeiten und Herabsetzungen. Der jeweils amtierende Präsident könnte viel Zeit mit Rügen verbringen.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false