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Berlin: Verdurstetes Kind: Welche Schuld hat die Mutter? Depression oder nicht – darum geht es in dem neuen Prozess

In welchem Zustand war Veronika W., als sie ihren zweijährigen Sohn in ihrer Wohnung zurückließ und nicht mehr wiederkam?

In welchem Zustand war Veronika W., als sie ihren zweijährigen Sohn in ihrer Wohnung zurückließ und nicht mehr wiederkam? Mit dieser Frage wird sich das Berliner Landgericht noch einmal und genauer befassen müssen. Im Februar vergangenen Jahres hatte das Gericht Veronika W., heute 23, zu lebenslanger Haft verurteilt; diese Entscheidung hob der Bundesgerichtshof in Leipzig jetzt auf (wir berichteten). Dass die Frau für den Tod ihres Sohnes schuldig zu sprechen war, haben die höchsten Strafrichter dabei nicht in Zweifel gezogen, wohl aber, ob sie voll schuldfähig war. Veronika W. kann auf ein milderes Urteil hoffen. Ihr Verteidiger, der Berliner Rechtsanwalt Gerhard Jungfer, hatte im Prozess zehn Jahre Haft beantragt.

Im Kern geht es dabei um die Frage der verminderten Schuldfähigkeit. Die Strafe kann gemildert werden, wenn der Täter bei Begehung der Tat außerstande war einzusehen, dass er Unrecht tut oder nach dieser Einsicht zu handeln, und zwar aufgrund seelischer Störungen. Hatte Veronika W. Depressionen? Seit Frühjahr 2001 ging es ihr nicht sehr gut. Schon der bloße Alltag war für sie kaum zu bewältigen. Sie prostituierte sich. Mit dem Vater ihres zweijährigen Sohnes Alisan-Turan entwickelte sich zwar eine Beziehung, aber sie endete schnell wieder. Im September erfuhr Veronika W., dass sie bis Ende November ihre Wohnung räumen müsse. Anfang November ging sie und kam nicht mehr zurück. Alisan-Turan verdurstete; als er gefunden wurde, war er schon mumifiziert.

Das hatte das Landgericht auch gewürdigt, aber nicht gründlich genug, wie die Bundesrichter meinen. Die Berliner Richter gingen zwar davon aus, dass Veronika W. unreif und ichbezogen gewesen sei und dass sie eine „depressive Episode“ gehabt habe. Das aber reiche nicht für die Verminderung der Schuldfähigkeit. Dabei stützte sich das Gericht auf ein Sachverständigengutachten und auf die Aussagen von Bekannten der Angeklagten, die an ihr nichts bemerkt haben wollten.

Diesen Umgang mit der Depressionsfrage rügten die Leipziger Richter. Den Schweregrad einer Depression in die Beurteilung medizinischer Laien zu stellen, sei bedenklich. Vielleicht habe Veronika W. ihre depressive Grundstimmung ja vor anderen zu verbergen gesucht. Sie habe die meiste Zeit Drogen genommen. Überdies gebe es sogar Depressionen, die Ärzte nicht erkennen.

Im Gerichtsalltag zählen Kindstötungen eher zu den Ausnahmen. Dennoch gibt es immer wieder spektakuläre Fälle. Eine junge Mutter hatte im Jahr 1999 ihre drei und vier Jahre alten Jungen in ihrer Wohnung in Frankfurt (Oder) verdursten lassen. Nicht immer ist am Ende klar, wer Täter war. So wurde 1993 in der Nähe von Stuttgart eine Siebenjährige mit arsenhaltigem Pistazieneis vergiftet; ihre Patentante wurde erst zu lebenslanger Haft verurteilt, das Urteil aufgehoben, sie erneut zu lebenslang verurteilt, auch dieses Urteil kassiert, dann wurde die Tante freigesprochen. Auch der Fall Monika Böttcher, besser bekannt als Monika Weimar, wegen Mordes an ihren beiden Töchtern, wurde insgesamt drei Mal aufgerollt. Sie bekam 1988 lebenslang, wurde nach neun Jahren Haft 1997 freigesprochen und 2000 doch wieder zu lebenslang verurteilt.

Fatina Keilani

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