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Berlin: „Verfassungsrichter sind überfordert“

Der Finanzwissenschaftler Markus Kerber hält die Klage des Berliner Senats auf zusätzliche Bundeshilfen in Karlruhe für nahezu aussichtslos

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wird das Bundesverfassungsgericht die Haushaltsnotlage Berlins anerkennen? Vor der mündlichen Verhandlung, die vielleicht schon im Sommer 2005 stattfindet, ist der Berliner Finanzwissenschaftler Markus Kerber skeptisch. „Ich sehe die Gefahr, dass die Klage abgewiesen oder darauf verzichtet wird, ein Urteil zu fällen.“ Schließlich, so der Jurist und Dozent für Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität, sei das Verfassungsgericht weder ein „Ersatz-Gesetzgeber“ noch ein Instrument zur Umverteilung öffentlicher Finanzen. Außerdem sieht Kerber die Karlsruher Richter durch die Flut der Finanz-Gutachten überfordert.

Nur die „Lust, politisch zu gestalten“, könnte das Gericht dazu verführen, doch eine Entscheidung zu treffen, sagte Kerber dem Tagesspiegel. Möglicherweise eine Entscheidung gegen Berlin, weil das Land „keine ausreichenden Eigenanstrengungen zur Beseitigung der Haushaltsnotlage nachweisen kann“. Erschwerend käme hinzu, dass sich die Finanzprobleme und die Staatsverschuldung in Deutschland „wie ein Flächenbrand“ ausbreiteten. Mit Ausnahme von Sachsen seien alle ostdeutschen Länder auf dem Weg zum Haushaltsnotstand. Und in Bremen und Saarland hätten die Sanierungszuschüsse des Bundes, die zehn Jahre gezahlt wurden, nicht geholfen.

Im Gegensatz zum Rechtswissenschaftler Joachim Wieland, dem Prozessbevollmächtigten des Landes Berlin, hält Kerber frühere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts für wenig hilfreich. Der Senat stützt sich in seiner Klageschrift auf ein Urteil von 1992, in dem die Finanznotlage Bremens und des Saarlands anerkannt wurde. Dies sei „eine Entscheidung im Einzelfall“ gewesen, die den Bund nicht einmal verpflichtet hätte, den beiden Not leidenden Ländern „in Form von Sanierungsgeldern“ zu helfen. Das Gericht habe den Bund 1992 auch aufgefordert, seine Finanzhilfen „auf das gesamtstaatlich Erträgliche“ zu beschränken. Kerber bezweifelt, dass die vom Senat geforderten 35 Milliarden Euro Sanierungshilfen für Bund und Länder noch erträglich wären.

Der Finanzexperte hält es auch für unwahrscheinlich, dass das Verfassungsgericht dem Land Berlin zwar grundsätzlich Recht gibt, aber zugleich strenge Spar- und Privatisierungsauflagen erteilt. „Das hofft der Finanzsenator, denn das wäre für ihn ein Achtungserfolg.“ Aber kluge Richter würden keine Auflagen erlassen, deren Einhaltung sie nicht kontrollieren könnten. Und der jüngste Vorschlag des Bundesfinanzministers Hans Eichel (SPD), die finanzschwachen Länder zu „liquidieren“, also mit Nachbarländern zu fusionieren, löst nach Meinung Kerbers den Notstand in Berlin und anderen Ländern auch nicht. „Die Schulden verschwinden ja nicht aus der öffentlichen Gesamtrechnung Deutschlands.“ Die schlechten Finanzstrukturen ließen sich nur durch radikale Maßnahmen verbessern.

Für den Fall, dass Berlin in Karlsruhe unterliegt, schwebt Kerber ein Horror-Szenario vor: Das Land werde weiter Defizite aufhäufen und irgendwann zahlungsunfähig werden. Ein Liquidationsverfahren sei zwar nicht möglich, aber es biete sich die Einsetzung einer „Notstandsregierung“ an. „Mit stark verdichteten Kompetenzen des Regierenden Bürgermeisters und des Finanzsenators.“ Ansonsten werde Berlin mit der eskalierenden Finanznotlage „institutionell nicht mehr fertig“.

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