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Berlin: Versüßter Abgang

Ex-Vorstandschef einer Wohnungsgenossenschaft wegen Untreue vor Gericht. Er soll sich eine halbe Million Euro Abfindung als Pension gegönnt haben

Die Frau kann sich kaum beruhigen. „Der Mann hat sich eine halbe Million in die Taschen gesteckt – auf Kosten der Genossenschaft“, schimpft sie. Eine andere pflichtet ihr bei: „Es ist wichtig, dass die Sache vor einem Strafgericht aufgearbeitet wird.“ Die Mitglieder der Ersten Wohnungsgenossenschaft Berlin-Pankow eG. sind empört. Einige von ihnen saßen gestern mit im Gerichtssaal, als der Prozess gegen ihren früheren Vorstandschef Wolfgang B. begann. Der 64-Jährige soll sich in Raffke-Manier einen „goldenen Ruhestand“ verschafft haben – mit gut einer halben Million Euro.

Es geht um exakt 510366,75 Euro. Die Summe wurde an den Angeklagten ausgezahlt, als er 2002 aus der Genossenschaft ausschied – als Übergangsgeld und Abfindung. Den Abgang soll er sich selber versüßt haben, vorbereitet schon Ende 2000 gemeinsam mit dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Holger S., dem jetzigen Mitangeklagten. Eine 54-jährige Rechtsanwältin und einer ihrer Mitarbeiter sitzen wegen Beihilfe auf der Anklagebank.

Schritt für Schritt sollen die vier die mutmaßliche Untreue eingefädelt haben. Der 33-jährige S. habe den Dienstvertrag des Vorstandsvorsitzenden zu dessen Gunsten und nach Absprache mit ihm geändert, obwohl er dazu nicht befugt gewesen sein soll. Hinter dem Rücken des Aufsichtsrats sei vereinbart worden, dass eine Abfindung „in jedem Fall“ bei Beendigung des Dienstverhältnisses fällig werde. Eine 18-monatige Wartefrist für die Zahlung des Übergangsgeldes sei aufgehoben worden. Die Rechtsanwältin und ihr Mitarbeiter hätten die Vereinbarungen wider besseres Wissen für juristisch einwandfrei erklärt.

Der Aufsichtsrat bestätigte den Aufhebungsvertrag im Sommer 2002. Doch laut Anklage in Unkenntnis der Details in den Verträgen. Als es Diskussionen gab, soll Kaufmann Andreas W. das Gremium als Mitarbeiter der Rechtsanwaltskanzlei mit allerlei windigen Argumenten umgestimmt haben. Dass mit dem 42-jährigen W. ein vorbestrafter Betrüger vor ihnen stand, der wegen eines Millionenschwindels bereits zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, war den Mitgliedern des Aufsichtsrats vermutlich nicht bekannt.

Um die halbe Million Euro wird seit Jahren gestritten. Einen Zivilprozess habe die Genossenschaft in erster Instanz verloren, sagte der jetzige Aufsichtsratsvorsitzende André Tismer. Dass der Fall jetzt vor ein Strafgericht komme, sei sehr positiv. „Wir werten das schon als ein Signal“, sagte Tismer gestern. „Das ist praktisch Mannesmann im Kleinen.“

Das allerdings sehen die Anwälte der Angeklagten ganz anders. Während ihre Mandanten im Gerichtssaal schwiegen, sprachen die Verteidiger am Rande des Prozesses von „voreingenommenen Ermittlungsbeamten“ und haltlosen Vorwürfen.

Die Pankower Genossenschaft umfasst 3500 Wohnungen. Der Verband sei allerdings keinesfalls am Boden, sagten die Mitglieder, die als Prozessbeobachter gekommen waren. Über die Leistungen ihres Ex-Chefs äußerten sie sich verhalten: „Sachlich sieht es so aus, dass unter dem alten Vorsitzenden nach der Wende nur 30 Prozent der Wohnungen modernisiert worden sind . Und das ist einfach zu wenig.“

Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.

Kerstin Gehrke

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