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Berlin: Veteranen-Treffen: Ach, Achtundsechzig!

"Ich bin 1972 geboren", sagt Max-Michael Schlereth, geschäftsführender Gesellschafter der "Derag" Hotels. Amüsiertes Aufstöhnen unter den Gästen des Hotels "Henriette" am Märkischen Museum.

"Ich bin 1972 geboren", sagt Max-Michael Schlereth, geschäftsführender Gesellschafter der "Derag" Hotels. Amüsiertes Aufstöhnen unter den Gästen des Hotels "Henriette" am Märkischen Museum. "Meine Generation hat ihnen viel zu verdanken", erklärt Schlereth weiter, "wir können unser Leben so leben, wie wir wollen." Schüchterner Applaus. Schlereth ist stolz darauf, dass seine Idee endlich Wirklichkeit geworden ist. Da sitzen sie also jetzt, ein paar von denen, die damals beim Vietnam-Kongress waren, unter Wasserwerfern duschten, diskutierten und publizierten - in einem schicken Hotel, mit einem Glas Rotwein in der einen und Häppchen in der anderen Hand: Rezeption statt Revolution, Wäschesack statt Farbbeutel. Rund 50 Alt-68er haben sich angemeldet, alle sind von der Hotel-Kette für ein Wochenende eingeladen worden: Stadtrundfahrt mit Snack im Dutschke-Raum, thematisches Dinner-Buffet im Restaurant La Mer, anschließend Musik. Gute PR? Nicht nur, findet Schlereth, den die aktuellen Debatten um den Bundesaußenminister nerven. "Mit wem Fischer damals gefrühstückt hat oder nicht, ist mir doch egal." Angst um das kostbare Interieur der "Henriette" hat der Junior-Geschäftsführer nicht: "Das ist ja keine Generation von Gewalttätern."

In der Tat sieht das gemütliche Zusammensein der damaligen Aktivisten eher so aus wie das Fest einer Familie, deren Mitglieder sich schon lange nicht mehr gesehen haben. Nur langsam kommt man ins Gespräch, was vielleicht auch daran liegt, dass der für den Abend verpflichtete Sänger in ohrenbetäubender Lautstärke "Yesterday" anstimmt. "Wir sind aus Kreuzberg gekommen", brüllt Bernd Schmidt. Der Erzieher und Tischler will kein Verwöhnwochenende für sich und seine Frau Sabine, sondern wünscht sich ein Diskussionsforum. "Wir wollen nicht, dass eine FDJ-Aktivistin die bundesrepublikanischen Zustände von damals erklärt", formuliert Schmidt nach kurzen Nachdenken. Er meint Angela Merkel. "Wir möchten uns selbst erklären." Dann erzählt Schmidt von der kleinbürgerlichen Enge, unter der er litt, und dass er seine Sabine heiraten "musste" - wegen des Kindes.

Auch Gertrud und Norbert Sparding "mussten" heiraten, sonst hätten sie im spießigen Münster keine Wohnung bekommen. Der Staatsbeamte und die SPD-Ratsfrau haben erst am Donnerstag von dem Alt- 68er-Wochenende erfahren und sind spontan angereist. "Wir waren doch bloß Fußvolk, keine revolutionäre Avantgarde", meint Norbert Sparding und lacht. "Seit ich politisch denken kann, bin ich gemäßigt links." Seine Frau schloss sich durch die Debatte um das Abreibungsgesetz der Bewegung an, Norbert Sparding nach dem Dutschke-Attentat.

Jetzt wollen sie mit alten "Genossen" diskutieren - "aber augenzwinkernd". Hans-Hermann, Jahrgang 1948, ist nicht zwecks kuschligem Plausch gekommen, sondern aus Gründen der Agitation. "Ich bin hochqualifizierter Schrott, eine überflüssige Ballast-Existenz", meint der langhaarige Sohn eines Friseurmeisters. Hans-Hermann ist Diplom-Soziologe, Großhandelskaufmann, arbeitslos und voller Energie - er ist gekommen, um die "schlaffen" 68er wieder wachzurütteln. Sein erstes Opfer: Michael Sieben aus Erkelenz, Gymnasiallehrer für Deutsch, Politik und Geschichte, ehemaliger Sympathisant der Roten Zellen sowie der Black-Panther-Bewegung. "Hans-Hermann und mich trennen Welten", betont Michael Sieben, der nicht mehr jung sein möchte. "Die Jugend heute hat es schwer, etwas zu finden, das Authentizität vermittelt." In der Hand hält der Lehrer eine Mappe mit Zitaten aus der Weltliteratur. Die will er morgen vorlesen. Hans-Hermann ist nicht besonders beeindruckt. Seine Rede beginnt mit "Genossen!" und endet mit "Venceremos!". Kopien sind an der Garderobe erhältlich.

Esther Kogelboom

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