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Berlin: Viele Verlierer und ein paar Gewinner

Für die meisten Ausländer sind Hoffnungen geplatzt – doch die Spätaussiedler können sich freuen

Von Sandra Dassler

Von Sandra Dassler

und Suzan Gülfirat

Pfarrer Johannes Kölbel hätte die Nachricht vom Scheitern des Zuwanderungsgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht seinen „Gästen“ am liebsten gar nicht mitgeteilt. Seit Wochen gewährt die evangelische Kirchgemeinde im nördlich von Berlin gelegenen Schwante dem 48-jährigen Vietnamesen Xuan Khang Ha und seinem fünfjährigem Sohn Minh Asyl. Der ehemalige Vertragsarbeiter, der seit Jahren in Deutschland lebt, sollte schon mehrfach abgeschoben werden – einmal sogar ohne sein hier geborenes Kind. „Brandenburg hat im Gegensatz zu Berlin keine Härtefall-Kommission“, sagt Pfarrer Kölbel, der heute Abend mit vielen Einwohnern ein Fürbitt-Gebet für Vater und Sohn Ha sprechen wird, „deshalb wäre das neue Zuwanderungsgesetz mit der Härtefall-Regelung so wichtig gewesen“.

Für Härtefälle gibt es in Berlin zwar eine Kommission, deren Status wäre aber durch das neue Zuwanderungsgesetz in jedem Fall aufgewertet worden, sagt Jens-Uwe Thomas vom Berliner Flüchtlingsrat. Zu den Verlierern der Entscheidung von Karlsruhe gehören seiner Ansicht nach auch die ausländischen Studenten, von denen es in Berlin 17 000 gibt. Sie hätten nach dem neuen Gesetz ein Jahr Zeit gehabt, sich hier einen Job zu suchen. Jetzt müssen sie wie bisher unmittelbar nach Studienabschluss das Land verlassen. Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John bedauert das, weil „jene, die wir als Experten hier dringend nötig hätten, nicht in ihre Heimatländer zurück gehen, sondern in Staaten mit besseren Zuwanderungsregeln“.

John kennt aber auch Gruppen, die sich über das Scheitern des Gesetzes freuen: „Das sind zum Beispiel die mehr als 20 000 Menschen in Berlin, die eine Duldung haben. Sie hätten ab 1. Januar mit Abschiebungen rechnen müssen.“ Froh seien auch die Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion. Deren Nachkommen hätten, um nach Deutschland zu kommen, nach dem neuen Gesetz „ausreichende“, statt wie bisher nur „einfache“ Deutschkenntnisse bereits in ihrer Heimat nachweisen müssen.

Enttäuscht vom Scheitern des neuen Gesetzes sind Flüchtlinge, die in ihren Heimatländern wegen ihre Geschlechts oder von nicht- staatlichen Organisationen verfolgt werden. Die brandenburgische Ausländerbeauftragte Almuth Berger füchtet zudem, dass Gelder für die im Integrationskonzept vorgesehenen Sprachkurse nicht gezahlt werden. Diese Angst gibt es auch in Berlin. „Wir hatten bereits Anträge für die Finanzierung von Integrationskursen eingereicht, um 2003 damit zu beginnen“, sagt der Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB), Safter Cinar. Jetzt muss der TBB noch eine Weile warten, bis er nachziehenden türkischen Ehepartnern solche Sprach- und Orientierungskurse anbieten kann. „Wir werden dieses Geld nicht genehmigen. Dafür fehlt uns nun die Rechtsgrundlage“, hieß es bereits gestern in der Innenverwaltung. Derzeit sind in Brandenburg 48 561 und in Berlin 436 182 Ausländer gemeldet. Wäre das Gesetz in Kraft getreten, hätten die Ehepartner sofort nach der Einreise die gleiche Arbeitserlaubnis wie der hier lebende Ehegatte erhalten. Nun müssen sie wie bisher zwei Jahre warten.

Der migrationspolitische Sprecher der Berliner Grünen, Özcan Mutlu, bedauert die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch aus einem anderen Grund: „Nun sind neuen Diskussionen wieder Tür und Tor geöffnet.“ Er fürchtet, dass die Zuwanderung erneut im Wahlkampf zu Lasten ausländischer Staatsangehöriger missbraucht werde.

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