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Trauer um Elias: 400 Menschen nahmen in Potsdam Abschied von dem getöteten Kind.

© Ralf Hirschberger/dpa

Fall Mohamed und Elias: "Vielleicht gab es noch mehr Opfer"

Polizeipsychologe Adolf Gallwitz spricht im Interview über Silvio S., den mutmaßlichen Mörder von Elias und Mohamed.

Herr Gallwitz, hätte man Silvio S. stoppen können?
Nein. Das Problem ist, dass dieser Tätertyp extrem unauffällig ist. Ich würde eher sagen, dass wir Glück hatten, dass diese Serie nun beendet ist.

Überrascht es Sie, dass niemand gesehen hat, wie er Elias vermutlich in sein Auto gelockt hat?
Nein, das überrascht mich nicht. Es ist gar nicht so kompliziert, Kinder dieser Altersgruppe dazuzubringen, bestimmte Dinge zu tun, auch mit Fremden. Silvio S. hatte womöglich auch schon Übung, er hat das mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zum ersten Mal gemacht.

Gehen Sie also davon aus, dass außer Mohamed und Elias noch andere Kinder zu Opfern wurden?
Für mich ist das nicht der Beginn einer Serie gewesen, sondern das Ende. Zumindest im Fall Mohamed ist er nach allem, was wir wissen, sehr professionell vorgegangen. Und auch die Tatsache, dass er zwei Taten innerhalb kurzer Zeit begangen hat, spricht aus meiner Sicht dafür, dass die beiden nicht seine ersten Opfer waren. Das muss ja nicht heißen, dass auch mögliche weitere Fälle tödlich geendet sind.

Es könnte also sein, dass es noch weitere Opfer von Silvio S. gibt, die noch leben?
Ja, es könnte sein, dass diese Opfer von ihren Erlebnissen nichts erzählt haben oder ihnen nicht geglaubt wurde. Mit Sicherheit werden nun einige Ermittlungsverfahren noch einmal durchgesehen. Ich glaube, wenn Silvio S. nicht erwischt worden wäre, hätte er weitergemacht. Warum hätte er auch aufhören sollen?

Wie bewerten Sie die Rolle der Eltern von Silvio S.? Hätten sie etwas merken müssen?
Silvio S. hat ganz offensichtlich Defizite darin, mit gleichaltrigen Menschen eine sexuelle Beziehung einzugehen, wahrscheinlich aber nicht im Umgang mit seinen Eltern. Und gerade erwachsenen Söhnen gestehen Eltern meistens einen gewissen Intimbereich zu. Ich wäre also vorsichtig, den Eltern einen Vorwurf zu machen. Im Gegenteil sollte man positiv bemerken, dass der entscheidende Hinweis an die Ermittler von den Eltern ausging. Das finde ich schon herausragend.

Adolf Gallwitz.

© picture alliance / dpa

Nach Informationen der Ermittler hat Silvio S. angegeben, dass er Mohamed umgebracht hat, weil dieser anfing zu „quengeln“. Diese Erfahrung muss er doch schon mit Elias gemacht haben – warum hat er trotzdem noch einen Jungen entführt?
Der Täter hatte einfach einen Wahnsinnsdruck, seine Fantasie auszuleben. Dafür hat er alles in Kauf genommen. Er war ja ganz offensichtlich nicht an einer menschlichen Beziehung interessiert, das Opfer war für ihn einfach nur ein Gegenstand.

War es also von Anfang an sein Ziel, die beiden Jungen umzubringen?
Er hat sie bestimmt nicht entführt, um ihnen Märchen zu erzählen. Und er hat sich ganz bewusst in Bereichen aufgehalten, wo er potenziellen Opfern begegnen könnte. Vielleicht hat er die Tötung nur in Kauf genommen, um das Opfer zu beseitigen. Vielleicht war das aber auch eine sadistische Handlung. Das kann erst die Obduktion klären.

Was sagen Sie zu der Tatsache, dass Silvio S. schon vor einem Jahr ein Grundstück in einer Kleingartensiedlung in Luckenwalde gepachtet hat?
Das ist aus meiner Sicht ganz klar ein Teil der Planung und der Vorbereitung für Straftaten.

Würden Sie sagen, dass damit auch die volle Schuldfähigkeit gegeben ist?
Für eine solche Aussage ist es zu früh. Nur so viel: Nicht jeder, der sexuelle Präferenzen wie zum Beispiel Pädophilie hat, ist automatisch nicht schuldfähig.

Mit welcher Strafe muss Silvio S. nun rechnen? Denken Sie, eine anschließende Sicherungsverwahrung ist wahrscheinlich?
Es wird darauf ankommen, wie er bei der Aufklärung weiterer Straftaten mitwirkt, was die Gutachter über ihn sagen, was er zu seinen Beweggründen sagt, ob das Gericht eine besondere Schwere der Schuld feststellt und so weiter. Dass er eine hohe Strafe bekommen wird, ist aber natürlich klar. Auch eine Sicherungsverwahrung ist nicht unwahrscheinlich, denke ich.

Wie viele Morde an Kindern im Zusammenhang mit Sexualdelikten gab es denn in Deutschland in den vergangenen Jahren? Steigen oder sinken diese Zahlen?
Das wissen wir nicht. Das Hellfeld ist leider viel zu klein. Wir wissen oft nicht, warum jemand langzeitvermisst ist. Viele Kinder werden einfach nicht gefunden.

Was sagen Sie den Eltern von kleinen Kindern jetzt? Müssen sie besser aufpassen?
Nach wie vor gilt: Eltern müssen ihre Aufsichtspflicht entsprechend des Alters der Kinder erfüllen. Mohamed zum Beispiel war eindeutig zu jung dafür, alleine unterwegs zu sein. Er hätte in irgendeiner Art und Weise beaufsichtigt werden müssen. Bei Elias würde ich das so pauschal nicht sagen, da kommt es auf viele Faktoren an – wie weit der Spielplatz, auf dem er sich aufgehalten hat, vom Elternhaus weg ist, wie gut der Spielplatz einsehbar ist, wer sich da üblicherweise noch aufhält. Die Eltern müssen abwägen, wie fit ihr Kind ist, wie es auf Fremde reagiert.

Was bedeutet diese Nachricht für die Eltern von Elias? Könnte es sein, dass irgendwann eine gewisse Erleichterung einsetzt, dass zumindest Gewissheit herrscht?
Man kann sagen, dass es das schreckliche Ende einer großen Unsicherheit ist. Bei Kindern dieses Alters ist die Chance von Anfang an nicht groß, dass sie nach Monaten oder Jahren auf einmal wieder vor der Tür stehen. Doch so lange die Eltern keine Gewissheit haben, hoffen und bangen sie. Jedes Mal, wenn eine Kinderleiche gefunden wird, erleiden sie unvorstellbare Qualen, bis sie wissen, wer das Opfer war. Das ist jetzt für die Eltern eine furchtbare Situation, aber die einzige Möglichkeit, mit der Trauer anzufangen.

Adolf Gallwitz, 64, ist Polizeipsychologe. Bundesweite Bekanntheit erreichte der einstige Professor an der Polizeihochschule Baden-Württemberg mit der Sendung „Fahndungsakte“ auf Sat.1.

Katharina Wiechers

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