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Bürger begehren auf. Die Initiative zur Offenlegung der Berliner Wasserverträge sammelte rund 280.000 Unterschriften – am 13. Februar wird nun abgestimmt.

© Davids/Darmer

Vom Volk regiert: Bürger begehren auf

Ob Großflughafen, A 100 oder Wasserbetriebe: Die Bürger erhöhen den Druck auf das Politikgeschäft in Berlin. Aber nicht alles lässt sich wegschlichten, meinen die Profis.

Das Defizit sehen sie alle. Die Aufregung um Stuttgart 21, die Flugrouten über Berlin, der Streit um die A100 zeigten, „dass die Leute mitentscheiden wollen“, sagt CDU-Landes- und Fraktionschef Frank Henkel. Umfragen sagen das seit langem. Dem jüngsten Politbarometer zufolge finden 72 Prozent der Bürger, dass Großprojekte wie der Bahnhof in Stuttgart durch Volksabstimmungen entschieden werden sollten. Dem Institut für Demoskopie in Allensbach sagten vor ein paar Wochen 51 Prozent der Befragten, sie wollten eine direkte Demokratie, in der die Bürger möglichst viele Entscheidungen treffen. Was nutze die Baugenehmigung für ein Großprojekt wie Mediaspree, fragt der Landesvorsitzende der Linkspartei rhetorisch, wenn der Investor hinterher immer nur Ärger habe?

Je länger die Planung, je komplexer das Vorhaben, desto sicherer hat die Politik Ärger mit den Bürgern. Der Streit um die Verlängerung der Stadtautobahn beweist es ebenso wie die Aufregung um die Flugrouten. Für CDU-Landeschef Henkel unterscheiden sich die Berliner Anlässe für Bürgerwut von Stuttgart 21. An der Bahnhofsplanung hätten sich die Leute beteiligen können, doch sei danach viel zu viel Zeit vergangen. Die Berliner Ärgernisse seien jedoch Ergebnis eines arroganten Politikstils. Klaus Wowereits „Betonpolitik“ zeige sich etwa an A100 und der Flugroutenproblematik.

In Sachen A100 hatte die SPD nach einigen Konflikten angekündigt, nichts zu tun, was die nächste Regierung bindet. Die CDU hat daraufhin eine Volksbefragung vorgeschlagen. Die könnte im September 2011 gleichzeitig mit der Wahl stattfinden. Betonpolitik sieht Henkel auch bei den Flugrouten: Da werde geplant und gebaut und am Ende so getan, als habe man nichts versäumt, so Henkel. Niemand glaube dem Regierenden, dass er die Flugroutenprobleme nicht habe kommen sehen.

Insgesamt aber, sagt Henkel, sei es „noch nie so einfach gewesen, Bürgerbeteiligung durchzusetzen“. Der CDU-Politiker nennt die Volksentscheide über den Flughafen Tempelhof und das Schulfach Religion als Beispiele – auch wenn sich die CDU in beiden Fällen nicht durchsetzen konnte. Für mehr Demokratie brauche man keine neuen „Instrumente“, sagt Henkel, aber einen anderen Stil.

Da ist Henkel ausnahmsweise nicht so weit entfernt vom Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Christian Gaebler. Viele Konflikte bei großen Projekten ließen sich entschärfen, wenn die Planer früher als üblich den Kontakt mit den Bürgern suchten. Bei der Umplanung eines Parkplatzes am Olivaer Platz im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf habe das gut funktioniert, sagt Gaebler. Bei großen Vorhaben wie etwa der Stadtautobahn müssten die Planer vielleicht deutlicher als bislang für ein Projekt einstehen: So sieht unser Konzept aus, es hat die und die Vorteile. Das Beispiel Stadtautobahn zeige, was nicht weiter helfe, sagt Gaebler: das Polarisieren zwischen „Gut und Böse, wie es leider unsere Freunde von den Grünen immer machen, auch aus Vereinfachungsgründen“.

Jedoch hat auch die SPD in Sachen Autobahn nicht gerade ein Musterbeispiel politischer Führung und Entschiedenheit geliefert: Ein Landesparteitag der Linken und einer der SPD votierten gegen das Projekt Weiterbau der A 100, wie es im Koalitionsvertrag steht. Dann erzwang Klaus Wowereit auf einem weiteren Landesparteitag eine knappe Mehrheit dafür, dass wenigstens die Planung weiter geht.

Franz Schulz, Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, hat vor ein paar Wochen eine Art Vorab-Volksabstimmung vorgeschlagen. Der Politiker, der im Streit um Mediaspree zwischen alle Fronten geraten ist, will die Bürger über alle größeren Bau- und Investitionsvorhaben entscheiden lassen. Er denkt an „Leitpunkte“ wie die Größe und das Investitionsvolumen. Von denen soll abhängen, ob nur die Anwohner, alle Wahlberechtigten eines Bezirks oder alle Bürger der Stadt zu befragen sind.

FDP-Landes- und Fraktionschef Christoph Meyer denkt ähnlich. Der Streit um die A 100 würde am besten durch eine Abstimmung über die Frage entschieden: Soll die Autobahn grundsätzlich weitergeführt werden oder nicht. Der Flugroutenärger hätte vermieden werden können, wären die Bürger Mitte der 90er Jahre gefragt worden: Wollen Sie den Standort Sperenberg – oder wollen Sie den Ausbau von Schönefeld? Schlichtungen sind für Meyer indes kein Instrument für den politischen Alltag: „Man kann sich auch zu Tode schlichten.“

Weil sich das gestiegene Demokratiebedürfnis der Leute vor allem auf Großprojekte richtet, wollen die Grünen laut Fraktionschef Volker Ratzmann fundamentale Reformüberlegungen. Ärger gebe es immer dann, wenn Planungen zu lang gedauert und zu schwerfällig vorangebracht worden seien. Daran ändere auch eine Schlichtung nichts. Das Stuttgarter Schlichtungsverfahren tauge nicht als Modell, nach dem Motto: „Das übertragen wir jetzt auf alles“. Schließlich geht es nicht allein um Beteiligung, sondern auch um Rechtssicherheit. „Das ist nicht mit einfachen Gesetzesänderungen getan“, sagt Ratzmann.

Wie kompliziert die Sache sei, zeige sich gerade am Flugroutenstreit, sagt Ratzmann. Da reichten offenbar die Möglichkeiten der politischen Vertretung der Betroffenen nicht aus. Allerdings weiß auch Ratzmann nicht, wie man einen Ausgleich zwischen den Flughafenbetreibern und den Menschen im Berliner Süden und in Brandenburg schaffen könne.

Einzig CDU-Mann Henkel findet nicht, dass neue Gesetze und Partizipationsmöglichkeiten her müssen. Er nehme das neue bürgerliche Mitbestimmungbedürfnis sehr ernst. Doch die Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung seien da. Das zeige sich gerade in Berlin an den diversen Volksbegehren besonders deutlich.

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