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De Ganoven machen Pause: Herrenpartie 1928 des Sport-Clubs Immertreu 1921e.V.

© Polizeihistorische Sammlung Berlin

Berlin-Bücher: Von Brillanten-Willi und Goldzahn-Bruno

Jahrzehntelang regierten die Ringvereine Berlins Unterwelt. Regina Stürickow blickt zurück

„Der Kollege, der in trunkenem oder aufgeregtem Zustande leichtsinnig mit seiner Vereinsnadel umgeht, wird mit 10 Mark in Strafe genommen.“ So streng hielten es die Statuten des „Sport-Clubs Immertreu 1921“ fest. Immerhin war das doppelt so viel wie wiederholtes Stören einer „Sitzung in animiertem Zustand“ oder auch wie unentschuldigtes Fehlen „bei Veranstaltungen mit Banner“ den Delinquenten kostete.

Mit Sport hatte „Immertreu“ allerdings wenig am Hut. Der „Sport-Club“ war einer der legendären Berliner Ringvereine, unter deren legalistischem Dach sich seit den zwanziger Jahren Klein- bis Großkriminelle, durchweg Männer, versammelten, um gemeinsam zu trinken, konspirative Sitzungen abzuhalten und sich vor allem in allen Lebenslagen, wenn etwa ein Kneipenwirt ein Mitglied mal scheel angeguckt hatte, tat-, prügel- und überzeugungskräftig beizustehen.

Anders ausgedrückt: Ringvereine waren in erster Linie organisierte Verbrechervereinigungen, die mit Schutzgelderpressung und Prostitution, Einbrüchen und anderen Delikten ihr hochkriminelles und brutales Geschäft betrieben. Bei Überfällen auf Kneipen, Konkurrenten und Unbeteiligte kam es auch zu Verletzten und Toten. Mitglied durfte zumeist nur werden, wer vorbestraft war und einen Bürgen aus dem Kreis der Mitglieder nennen konnte.

Die Historikerin Regina Stürickow berichtet in „Pistolen-Franz und Muskel-Adolf. Ringvereine und organisiertes Verbrechen in Berlin 1920-1960“ ebenso kenntnisreich wie unterhaltsam von der Geschichte der halbseidenen Kriminellenvereinigungen. Deren Zweck und Ziel, schreibt Stürickow, sei vor allem die „Pflege der Geselligkeit“ und die „Wohlfahrtspflege“ gewesen, welche etwa darin bestanden habe, „dass ein Vereinsmitglied am Tag seiner Entlassung vor den Gefängnistoren von seinen Brüdern' im Auto abgeholt werde und, um den ersten Engpass zu überbrücken, finanzielle Unterstützung erhalte. Segne ein Mitglied das Zeitliche, trage der Verein die Beerdigungskosten und inszeniere ein pompöses Begräbnis, zu dem alle Mitglieder sowie Delegierte befreundeter Vereine mit ihren Vereinsbannern erscheinen müssten. Eine Blaskapelle sorge mit Trauermärschen für die gebotene Feierlichkeit.“

Früher hatten auch Ganoven ein Faible für schicke Hüte
Früher hatten auch Ganoven ein Faible für schicke Hüte

© Polizeihistorische Sammlung Berlin

Das abwechslungsreiche Buch bietet einen tiefen historischen Einblick in die Unterwelt jener Zeiten und deren Entwicklungen, erzählt immer wieder anekdotisch von Gestalten mit räuberromantisch Namen wie Brillanten-Willi und Goldzahn-Bruno. Daneben zeigt es auf - durchaus auch mal einfühlsam -, dass diese Personen eben doch keine „Gestalten“ waren, sondern Menschen, die es auf ganz individuellen Pfaden ins kriminelle Milieu verschlagen hatte.

Ihre Ringvereine bestanden in Berlin bis in die sechziger Jahre hinein, allerdings mit Unterbrechung in der Zeit des Nazi-Regimes. Zahlreiche Vereinsbrüder saßen damals als „Berufsverbrecher“ mit grünem Winkel auf der Häftlingskleidung rechtelos im KZ.

Die Geschichten, die Stürickow aus alten Polizeiakten und Zeitungsartikeln zusammengestellt hat, lassen einen, mit dem Abstand von Jahrzehnten, nur noch leicht, eher wohlig-distanziert erschauern, über viele muss man sogar schmunzeln. Besonders der Prozess gegen den Ringverein „Sparverein Südost“ und seinen Vorsitzenden Gerhard Hirschfeld im Jahr 1957 hatte es in sich, dessen Zustandekommen ein großer Erfolg für die West-Berliner Polizei war und das Ende der Ringvereins-Ära einläutete. Das sensationslüsterne Berliner Publikum erwartete beste Unterhaltung: Auftretende Zeugen und Angeklagte boten ein großes Spektakel mit urkomischen Einlagen, als beispielsweise ein Foto von Hirschfelds blankem Hinterteil unter der kriminalistischen Kategorie „Erkennen Sie diesen Mann?“ vorgeführt wurde. Auch der Kreuzberger Bürgermeister Willy Kressmann, wegen seines amerikanischen Hutes Texas-Willy genannt, hatte dabei seinen Auftritt. Mithin der Mann, der den Ganoven in seinem Bezirk persönlich den Garaus machen wollte und dabei auch nicht davor zurückschreckte, in streng geheime Vereinstreffen in verqualmten Kaschemenhinterzimmern zu platzen, um seinen Rivalen Hirschfeld persönlich zur Rede zu stellen.

Neben Unterhaltsamkeiten wie dieser überzeugt das Buch auch durch seine reiche Bebilderung, die die ganz normalen Allerweltsgesichter hinter den mehr oder weniger schillernden Verbrecherbiografien genauso präsentiert wie Auszüge aus Akten und Vereinsstatuten, auf die sich ein Blick lohnt. Das Vertraute darin: In Deutschland konnte sich selbst die Unterwelt nicht dem Hang zur Vereinsmeierei entziehen.

Regina Stürickow: Pistolen-Franz und Muskel-Adolf. Ringvereine und organisiertes Verbrechen in Berlin 1920 - 1960. Elsengold Verlag, Berlin. 208 Seiten, ca. 120 Abbildungen, 26 Euro

Schwerer Junge. Früher hatten auch Ganoven ein Faible für schicke Hüte. Foto: Polizeihistorische Sammlung Berlin

Regina Stürickow: Pistolen-Franz und Muskel-Adolf. Ringvereine und organisiertes Verbrechen in Berlin 1920 – 1960.
Regina Stürickow: Pistolen-Franz und Muskel-Adolf. Ringvereine und organisiertes Verbrechen in Berlin 1920 – 1960.

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