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Berlin: Von Gassen und Sackgassen

Auf dem Mauerstreifen an der Bernauer Straße soll Platz geschaffen werden für das Gedenken. Der Senat verstaatlicht Anlieger-Grundstücke, lässt andererseits aber neue Luxus-Wohnhäuser zu. Redakteurin Barbara Junge beschreibt, warum sie ihren Garten nicht für ein Alibi-Projekt opfern will

In ein paar Tagen, am 13. August, kommt die Kanzlerin in meinen Garten, ganz in die Nähe jedenfalls. Angela Merkel wird des Mauerbaus an seinem 50. Jahrestag gedenken, es gibt eine Kranzniederlegung, eine Andacht, eine Schweigeminute. Der historische Akt wird in der Gedenkstätte an der Bernauer Straße stattfinden, einem der letzten Teile, auf dem der Mauerstreifen partiell konserviert worden ist. Die nationale Gedenkstätte beginnt am Nordbahnhof und endet an der Brunnenstraße. Dahinter, jenseits der Brunnenstraße, liegt unser Garten, in dem der lange Schatten der Vergangenheit bis in die Gegenwart reicht. Er soll verstaatlicht werden, wie auch einige Gärten links und rechts von uns, der Senat will dort die Gedenkstätte Berliner Mauer erweitern.

Der Garten ist Sinnbild einer Auseinandersetzung, die Senat, Abgeordnetenhaus und Juristen über Jahre schon beschäftigt, inklusive Mediator, der derzeit Lösungen sucht. Der einstige Todesstreifen diesseits der Brunnenstraße wird künftig von Neubauten dominiert, das Gedenken soll in eine kleine Gasse dahinter gezwängt werden, die durch private Gärten verläuft, die der Senat nicht besitzt. Eine Planung, die vorn und hinten nicht zusammenpasst. Die Würde des Gedenkens steht auf dem Spiel.

Unser Grundstück ist etwa 100 Quadratmeter groß, einst standen hier Quergebäude, bevor die DDR alle Häuser abreißen ließ, aus denen der Sprung in den Westen möglich war. Später verlief der Postenweg über dieses Stück des Todesstreifens.

Schon bald nach der ersten Zeit des Jubels wurden die Mauergrundstücke zum Spielball der Politik. Der Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen plädierte, geprägt durch die Teilung der Stadt, für die Rückübertragung „ohne Wenn und Aber“ an jene Besitzer, denen die DDR ihr Grundstück entwendet hatte. Die Bundesregierung aber wollte die Flächen für Investitionen öffnen. Und so passierte am 19. Juli 1996 das Mauergrundstücksgesetz den Bundestag. Es sah vor, dass Alteigentümer ihre Grundstücke zu einem Viertel des Verkehrswertes erwerben konnten. Allerdings hatte die Regierung ein Schlupfloch gelassen. „Will der Bund ein Grundstück für dringende eigene öffentliche Zwecke verwenden“, kann er den Rückverkauf an die Alteigentümer ablehnen. Der Senat konnte also Grundstücke, die er für ein historisches Gedenken brauchte, reservieren.

Unsere persönliche landschaftliche Wiedervereinigung fand am 12.Januar 1998 statt. An dem Tag entschied das Bezirksamt Mitte nach Rücksprache mit dem Senat, dass keinerlei öffentliches Interesse an unserem Grundstück vorlag. An einem heißen Sommertag 1998 liehen wir uns eine Hilti-Pressluftmaschine und sprengten die rissigen Reste von Asphalt, die die letzte DDR-Regierung hinterlassen hatte. Unter dem Teer lagen alte Stromkabel, die einst wohl die Flutlichtanlage der Grenze versorgt hatten. Nach ein paar Minuten harter destruktiver Arbeit fuhr ein Streifenwagen mit zwei Schutzpolizisten vor, nach einem kurzen Gespräch rückten die Schupos jedoch wieder ab.

An Stelle des Asphalts ließen wir frische Erde anfahren und säten Rasen. Im Sommer 1999, zur Geburt unserer Tochter, pflanzten wir auf dem einstigen Postenweg der Tradition folgend einen Apfelbaum. Es war unsere ganz private Form der Versöhnung mit der Geschichte. Mein Schwiegervater, der das Haus nach dem Fall der Mauer erworben hatte, war 1961 kurz vor dem Mauerbau aus dem Osten in den Westen geflüchtet und hatte jahrelang mit hohem persönlichen Risiko Menschen aus Ost- nach West-Berlin geschmuggelt und nachts Teile der Mauer sabotiert. Nun hatte sich ein Kreis geschlossen. Wo einst der Tod drohte, gedieh in unserem Garten neues Leben.

Andere machten es uns nach, der Mauerstreifen ging zurück an Alteigentümer oder lag brach, ab und zu fanden wir die Spritze eines Junkies am Zaun. Ansonsten passierte nichts Wesentliches.

Der erste, der etwas von uns wollte, war der Berliner Liegenschaftsfonds, 2007. Man werde an uns herantreten, um uns unser Grundstück abzukaufen, weil dort ein Teil der Gedenkstätte geplant sei, teilte uns ein Sachbearbeiter mit. Was nicht geschah. Das nächste Mal lasen wir von unserem Grundstück, als der Senat im Sommer 2007 einen Bebauungsplan auslegte. Jemand hatte mit einem dicken, roten Filzstift einen Weg über den Mauerstreifen gezeichnet, der den Postenweg markierte. Der Filzstrich geht mitten durch unseren Garten, der, wie wir lesen konnten, nicht mehr unser Garten, sondern eine Verlängerung der Gedenkstätte sein sollte. Der Postenweg solle jenseits der nationalen Gedenkstätte am Nordbahnhof die Erinnerung fortführen, bis zur Schwedter Straße. In den Erläuterungen sind Problemgrundstücke aufgeführt; unseres zählte nicht dazu. In Gedanken hatte uns der Senat offenbar schon verstaatlicht.

Der überwiegende Rest des Mauerstreifens direkt hinter unserem Garten wird künftig zu den teuren Adressen Berlins gehören. Geplant sind siebenstöckige Luxushochhäuser mit Privatgärten, die nicht nur die Berliner Traufhöhe sprengen, sondern auch sämtliche Altbauten in der Umgebung weit überragen. Die Quadratmeterpreise liegen zwischen 3500 und 4500 Euro, allein die Penthouse-Maisonette des Projektes „Mauerlofts“, das damit wirbt, auf „geschichtsträchtigem Grund“ zu entstehen, kostet 1,21 Millionen Euro.

Warum der Streifen bis zur Brunnenstraße durchgängig dem Gedenken gewidmet ist, während unser Teil vor allem Privatinvestoren offen steht, ist ein Rätsel. Die Erweiterung der Gedenkstätte sei „nicht als Bestandteil von nationaler Bedeutung“ anzusehen, sagt die Stadtentwicklungsverwaltung, eine Art Gedenken zweiter Klasse also. Es wäre der historischen Dimension angemessen gewesen, den gesamten Mauerstreifen bis zur Schwedter Straße als Gedenkstätte auszuweisen. An der Ecke zu Ruppiner Straße entstand jenes legendäre Foto, das den DDR-Grenzsoldaten Conrad Schumann am 15. August 1961 beim Sprung über Stacheldraht zeigt. Doch der Senat setzte andere Prioritäten, und als die Möglichkeit bestand, die Grundstücke anzukaufen, wurde die Idee mit Verweis auf leere Kassen abgetan. So reicht die „nationale Gedenkstätte“ heute nur bis zur Brunnenstraße. Mit einer Gedenkgasse im Schatten von Hochhäusern versucht der Senat nun offenbar, eine vermurkste Planung zu kompensieren. Es hätte Größe bewiesen, den Streifen als begehbares Mahnmal zu erhalten, wie es die Anwohner forderten.

Für uns steht unser Grundstück für gelebte Stadtgeschichte; eine Brücke zwischen drei Generationen, die in dieser erst vereinten, dann geteilten und heute wieder vereinten Stadt leben. Für eine Lösung, die den gesamten Mauerstreifen zur Gedenkstätte macht, würden wir unseren Garten gerne zur Verfügung stellen. Wenn sich der Senat nicht dazu durchringt, wird es wohl auf einen halbherzigen Kompromiss hinauslaufen. Die Politik besaß immerhin so viel Sensibilität, den Bewohnern zu garantieren, dass es an dieser stadtpolitisch empfindsamen Stelle keine Enteignungen geben wird. „Ich kann ja die Anwohner nicht zwingen, dass sie ihre Grundstücke verkaufen, das will ich auch nicht“, hat es Kulturstaatssekretär André Schmitz versichert. Im „allerschlimmsten Fall“ müsse man auf jene Grundstücke verzichten, deren Eigentümer nicht verkaufen wollten.

Wie ein möglicher Kompromiss aussieht, ist im nationalen Teil der Gedenkstätte zu besichtigen. An der Strelitzer Str. 28 hatte der Bezirk sogar den Bau eines Wohnhauses genehmigt, das nun mitten auf dem Postenweg thront. Das Haus sei kein Fremdkörper, hat der oberste Gedenkbeamte des Senats, Rainer Klemke, erklärt. „Das ist auch ein Zeichen der Geschichte und kann umgangen werden.“ Der Postenweg macht einen Schlenker, die Würde des Gedenkens bleibt erhalten. Ein solcher Schlenker wird auch für unseren Teil in der Mediation diskutiert, „Umwegung“ genannt. Es wäre eine typisch Berliner Lösung: improvisiert, unfertig, aber irgendwie auch charmant.

Schlimm wäre es dagegen, wenn sich der Senat nicht einmal dazu durchringen könnte und der Mauerstreifen jenseits der Brunnenstraße ein reines Flickwerk bliebe, auf dem nichts zusammenpasst. Eines mit zu hoher Bebauung, zu geringen Abstandsflächen zwischen Alt- und Neubauten und einer Gedenkgasse, aus der eine Gedenksackgasse wird, weil dem Senat die Umwegung zu teuer ist. Ein solcher Bebauungsplan würde vor den Verwaltungsgerichten zermahlen. Es wäre ein stadtplanerischer Offenbarungseid.

Der Senat behauptet gerne öffentlich, die Anwohner hätten die bisherigen Kaufangebote ausgeschlagen, auch wir. Die Wahrheit ist, dass sich seit 1998 niemand mit einem Angebot bei uns gemeldet hat, um uns das Grundstück abzukaufen. Es scheint, als glaube selbst der Senat nicht mehr an seine Planung.

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