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Berlin: Von Tag zu Tag: Vier-Mark-Theater

Nein, sie wird nicht aufstehen. Nein, und anfassen lässt sie sich erst recht nicht.

Nein, sie wird nicht aufstehen. Nein, und anfassen lässt sie sich erst recht nicht. Ja, es ist ihr egal, wenn die U-Bahn warten muss. Und die erbosten Durchsagen des Fahrers ("Habt Ihr sie jetzt endlich rausgeschmissen?", "Kann ich nu weiterfahren?") interessieren sie gar nicht. Und dass erst zehn, dann zwanzig, dann fünfzig Personen zuschauen und erst zwei, dann vier, dann zehn Uniformierte mit ihrem Fall befasst sind, das prallt sowieso an der jungen Frau ab.

Sie habe einen Fahrschein und basta. Sie will nicht aufstehen, nicht raus auf den Bahnsteig, will keine Diskussion. Die anderen Fahrgäste im U-Bahn-Waggon am Kottbusser Tor sehen das anders. "Könnt ihr die nicht an den Ohren rauszerren?", fragt ein junger Mann. Andere vergessen ihren Ärger, als das Drama sich entfaltet. Eine Performance für vier Mark? Improvisationstheater in der U 8? Oder ist so viel Hartnäckigkeit gegen eine Übermacht der Obrigkeit nicht auch schon wieder bewundernswert?

Irgendwann fährt der Zug weiter, die junge Frau ist noch immer drin. Umringt von BVG-Kontrolleuren. Am Alex steigen dann noch zwei Polizisten ein. Reden auf die Frau ein, minutenlang. Irgendwann Gekreische, die Delinquentin wird auf den Bahnsteig gezerrt. Was wird nun passieren? Zieht sie einen HdK-Studentenausweis hervor, Fachrichtung Theater, und sagt, das hier sei ein Seminar vor Ort? Präsentiert sie einen gültigen Fahrausweis und ein Schreiben der BVG-Chefs, das sie als Gedulds-Testerin für Kontrolleure ausweist? Oder wird sie irgendwann zahlen und den Bahnhof mit klammheimlicher Freude verlassen und wissen, dass sie dutzende Schwarzfahrer an diesem Abend gerettet hat?

Jörg-Peter Rau

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