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© Kitty Kleist-Heinrich

Wanderungsbilanz: Migration: Es gehen mehr als kommen

Immer wieder fordern Politiker einen Zuzugsstopp für bestimmte Ausländer. Doch sie gehen von falschen Annahmen aus, wie die Statistik zeigt. De facto herrscht schon längst ein Zuzugsstopp für Ausländer aus Nicht-EU-Ländern.

Integration, das ist parteiübergreifend Konsens, ist die Herausforderung des neuen Jahrzehnts. Weil es mit der Integration von Zuwanderern in vielen Bereichen nicht besonders gut klappt, fordern Akteure wie SPD-Hardliner Thilo Sarrazin oder zuletzt auch der stellvertretende CDU-Chef Thomas Heilmann einen Zuzugsstopp für bestimmte Ausländer. Vor allem für Türken und Araber, die weniger gut integriert sind. Diese Forderung hat jedoch höchstens einen populistischen Gehaltswert, wie ein Blick in den Statistischen Bericht zu Wanderungen in Berlin zeigt.

Der belegt nämlich, dass seit 2006 jedes Jahr mehr türkische Staatsangehörige in die Türkei gezogen sind als von dort nach Deutschland. Insgesamt sind zwischen 2006 und 2008 knapp 6000 Türken gekommen, rund 7200 dagegen verließen Berlin, um in die Türkei zu ziehen. Araber aus dem Libanon oder afrikanischen Ländern werden im Wanderungs-Bericht des Landesamtes für Statistik gar nicht gesondert aufgeführt, „weil ihre Zahl so unbedeutend ist“, wie ein Sprecher der Behörde erklärt. Ihr Zuzug wird unter „Asien“ oder „Afrika“ bilanziert. In einer detaillierten Aufschlüsselung stieg die Zahl der Menschen aus dem Nahen Osten 2008 um knapp 200, die der Afrikaner um 99.

Mit der Forderung nach einem Zuzugsstopp wird fälschlicherweise impliziert, es könnte in Deutschland einreisen, wer will. De facto herrscht jedoch längst ein Zuzugsstopp für Ausländer aus Nicht-EU-Ländern. Und die dennoch vorhandene, geringe Einwanderung von diesen Staatsbürgern kann rechtlich nicht verhindert werden. Sogenannte Drittstaatenausländer wie Türken, Araber oder Vietnamesen können als Flüchtlinge, Studenten, Hochqualifizierte oder per Ehegattennachzug einwandern.

Das Statistikamt darf den Einwanderungsgrund und -status aus rechtlichen Gründen nicht erheben. Es ist also nicht bekannt, wie viele der Einwanderer als erfolgreiche Unternehmer oder als integrationspolitische Herausforderung in Gestalt von kaum Deutsch sprechenden Ehegatten eingereist sind. Die bundesweite Statistik des Bundesamtes für Migration belegt jedoch für die vergangenen Jahre, dass der Zuzug als Ehepartner aus der Türkei der häufigste Beweggrund für Türken ist, in Deutschland einzuwandern. Doch der ist durch die Verfassung geschützt: durch das Recht auf Familienzusammenführung.

Betrachtet man in der Statistik die gesamte Zu- und Abwanderung in Berlin, ist die Bevölkerung in den vergangenen zehn Jahren unterm Strich um 80 000 Zuzügler aus dem Ausland gewachsen. Mit vier- bis achttausend Menschen pro Jahr führt Polen als Herkunftsland die Statistik an. Danach kommen Einwanderer aus Frankreich, den USA, England und weiteren EU-Staaten.

Für das erste Halbjahr 2009 gibt es ebenfalls schon eine Bilanz: Von Januar bis Juni sind knapp 23 800 Menschen aus dem Ausland gekommen, über 31 500 haben die Stadt und die deutsche Grenze dagegen verlassen. Allerdings sei diese hohe Abwanderung nicht vergleichbar mit den Vorjahren, sagt Jürgen Paffhausen vom Amt für Statistik. 2009 habe sich zum ersten Mal stark ausgewirkt, dass statistische Karteileichen aufgedeckt wurden, weil jeder Bürger eine neue Steuernummer zugesandt bekommen hat. Unauffindbare Bürger wurden 2009 automatisch als verzogen gemeldet, von denen vermutlich einige schon früher ausgereist sind. Die negative Wanderungsbilanz der angeblich integrationsunwilligen Türken fällt für diesen Zeitraum auch noch stärker auf: Rund 1000 kamen, 1600 gingen.

Ferda Ataman

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