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Berlin: Warum starb der kleine Oskar?

43-jähriger Anästhesist bestreitet vor Gericht, dass er sein Baby zu Tode geschüttelt hat

Nach dem Mittagessen soll der Arzt die Nerven verloren haben. Weil sein acht Monate alter Sohn „über eine lange Zeit“ schrie. Der Vater soll den kleinen Oskar heftig hin und her geschüttelt haben. So stark, dass er damit bei dem Säugling tödliche Hirnblutungen verursachte. Ausgerechnet ein Arzt, einer, der „aufgrund seiner Ausbildung um die Gefährlichkeit seiner Handlung wusste“, heißt es in der Anklageschrift wegen Körperverletzung mit Todesfolge.

Für Gerd S. sind das ungeheuerliche Vorwürfe. „Ich habe Oskar nie geschüttelt, nie habe ich ihm Gewalt angetan“, beteuerte er gestern vor dem Berliner Landgericht. Seine Anwälte sagten, die Vorwürfe seien „konstruiert“. Es sei im Ermittlungsverfahren unklar geblieben, was die Verletzungen verursachte. „Nicht ein einziger Zeuge, nicht einmal die Mutter des Jungen sagte jemals, dass er seine Ruhe haben wollte.“ Der Ausgang des Prozesses wird wie so oft in ähnlichen Verfahren von den Gutachtern abhängen.

An jenem Tag im Juli vor knapp vier Jahren hatte Gerd S. den kleinen Oskar gefüttert. Wie immer sei das nicht ganz einfach gewesen. Der Kleine habe gequengelt, den Kopf „hin- und hergerissen“. Nach dem Essen sei Oskar schnell eingeschlafen. „Ich dachte: Was mag er jetzt träumen?“, sagte der Angeklagte. Dann habe er bemerkt, dass Oskar nicht mehr atmete. Der Vater begann sofort mit der Wiederbelebung, alarmierte zwischendurch eine Nachbarin in dem Steglitzer Haus, die den Notarzt rief.

Nichts brachte den kleinen Oskar aus dem Koma ins Leben zurück. Nicht das Singen seiner Eltern am Bett auf der Intensivstation, nicht die Fotos an den Wänden von glücklichen, ausgelassenen Tagen. Nach drei Wochen wurden die Maschinen abgestellt. „Am 2. August 1999 ist Oskar gestorben. Es war fast nicht auszuhalten“, sagte der Angeklagte.

Über drei Jahre wurde ermittelt. Mehrere Gutachten belegen laut Staatsanwaltschaft, dass Gerd S. seinen Sohn geschüttelt haben muss. Am Morgen des Tattages sei der Junge noch von einem Kinderarzt untersucht und für kerngesund befunden worden. Und die Mutter des Jungen berichtete im Verfahren zumindest von einem früheren Vorfall auf einem Campingplatz. Auch da habe Gerd S. den Kleinen „beängstigend geschüttelt“. Zeugen für das, was sich in der Wohnung abgespielt haben soll, gibt es jedoch nicht. Geblieben sind gegenseitige Vorwürfe des inzwischen getrennt lebenden Paares, das lange vergeblich um ein harmonisches Familienleben gerungen hat.

Oskar war kein Wunschkind. Das gab der Angeklagte zu. Er sei beruflich eingespannt gewesen, seine Lebensgefährtin war noch in der Lehrer-Ausbildung. „Ich hielt den Zeitpunkt für nicht so günstig“, sagte der Angeklagte. Dann aber habe er sich „riesig“ über den kleinen Oskar gefreut. Er will sich intensiv um seinen Sohn gekümmert haben. Die Mutter des Jungen dagegen sagte als Zeugin, Gerd S. habe sich mehr und mehr zurückgezogen, dann eine Affäre mit einer Studentin angefangen.

Fälle, in denen verzweifelte Eltern ihr schreiendes Baby schütteln, damit es endlich aufhört zu schreien, gibt es immer wieder, und zwar weltweit. In Berlin wurde zuletzt im Dezember 2002 ein 26-Jähriger zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Er hatte seine kleine Tochter geschüttelt und ihr schwere Verletzungen zugefügt. Gegen das Urteil, das von vielen als hart empfunden wurde, legte er Berufung ein; das Verfahren läuft. Der Prozess gegen den Arzt Gerd S. wird Mittwoch fortgesetzt.

Kerstin Gehrke

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