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Der Himmel über Wien.

© Getty Images

Smart City: Was Berlin von Wien lernen kann

Die österreichische Hauptstadt will „Digitalhauptstadt“ Europas sein und gilt vielen als Vorbild. Auch in Berlin schaut man gespannt gen Süden.

Enge verwinkelte Gassen, durch die sich alte Fiaker ihren Weg bahnen. Wunderschöne alte Kaffeehäuser, in denen Berühmtheiten wie Sigmund Freud, Stefan Zweig oder Franz Kafka ihre Gedanken zu Papier brachten. Und die kilometerlange Ringstraße mit ihren monumentalen Bauten, die ein einzigartiges Ensemble verschiedenster Stile und Epochen zu einem Gesamtkunstwerk vereint.

Wer durch die Wiener Innenstadt schlendert, kann schon mal den Alltagstrubel vergessen und die berühmte Wiener Gemütlichkeit aufsaugen. „Wien bleibt Wien – und das ist wohl das Schlimmste, was man über diese Stadt sagen kann“, sagte einst Alfred Polgar, einer der bekanntesten Autoren im Wien der Jahrhundertwende.

Doch die Uhren stehen nicht wirklich still. Wien will „Digitalhauptstadt“ in Europa sein, gilt als Vorbild für andere Städte. In diesem Jahr kürten die Berater von Roland Berger die österreichische Hauptstadt zum zweiten Mal zum weltweiten Spitzenreiter, was digitale Stadtentwicklung betrifft. Vor Kurzem ehrte auch die Unesco die Wiener Digitalbemühungen mit einer Auszeichnung. Hinter den Fassaden der historischen Häuserzeilen sind nämlich viele innovative Vorzeigeprojekte verborgen.

Berlin ist interessiert

Das hat sich bis nach Berlin herumgesprochen. Eine Delegation aus der Berliner Senatskanzlei besuchte unter anderem deshalb im Oktober für mehrere Tage die rot-grüne Donaumetropole. Smart City – die vernetzte Stadt – das schreiben sich die Österreicher auf die Fahnen. Doch was bedeutet das eigentlich?

„Wir definieren die Smart City als kluge Stadt, die sich um die Menschen kümmert“, sagt Ulrike Huemer. Sie ist Wiens Chief Information Officer (CIO), so etwas wie die oberste Digitalbeauftragte der Stadt. „Wir wollen kein Technologiekonzept über die Stadt stülpen, sondern politische und gesellschaftliche Probleme unter anderem durch Digitalisierung lösen.“

Smart City: Palette an Digitalprojekten ist groß

Huemer wurde gerade erst als eine der hundert weltweit einflussreichsten Digitalexpertinnen im öffentlichen Sektor ausgezeichnet. Technik ist für sie ein Mittel zum Zweck, kein Selbstzweck.

Die Palette an Digitalprojekten ist groß. Für Senioren werden etwa im Rahmen des Programms „WAALTeR“ Wohnungen mit Sensoren ausgestattet, damit Stürze erkannt werden. Messen die Bewohner ihren Blutdruck, gehen die Daten direkt an den Arzt. Und über Tablets können die älteren Menschen mit Freunden in Kontakt bleiben.

Auch der öffentliche Sektor wird einer Digitalkur unterzogen: Mit dem „WienBot“ hat die österreichische Hauptstadt einen der fortschrittlichsten kommunalen Chatbots der Welt entwickelt, der den Bürgern alle möglichen Fragen zur Stadt und öffentlichen Leistungen über das Smartphone beantwortet und so die Verwaltung entlastet. Und während ganze Staaten noch an Papieren zu Künstlicher Intelligenz feilen, hat sich Wien bereits auf kommunaler Ebene eine eigene Strategie verpasst.

„Wir wollen nicht das Maximum an Technik, das möglich ist, sondern das Optimum, das sinnvoll ist“, erklärt Huemer. Was damit gemeint wird, wurde der Berliner Delegation, der unter anderem Staatssekretär Frank Nägele (SPD) oder Infrastrukturbeauftragter Jens-Holger Kirchner (Grüne) angehörten, in Simmering vorgeführt – einem Arbeiter- und Migrantenbezirk, der alles andere als hip oder modern ist.

App auf Blockchain-Basis

Neun Dienststellen der Stadtverwaltung waren am digitalen Stadterneuerungsprojekt „Smarter together“ beteiligt. Mit EU-Fördermitteln und in Kooperation mit anderen Städten wie München und Lyon entstand so seit 2016 ein digitales Versuchslabor, das rund 21.000 Bewohnern zugutekommt. „Das Digitale ist vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar“, erklärt ein Projektverantwortlicher vor einem frisch sanierten und erweiterten Schulgebäude.

Auf den zweiten Blick allerdings schon. Auf dem Vorplatz der Schule stehen innovative Sitzmöbel, die die Möglichkeit bieten, über integrierte Fotovoltaikzellen Smartphones aufzuladen. Die neuen unterirdisch angelegten „Null-Energie-Turnsäle“ produzieren über Erdwärme-Tiefensonden und die Nutzung von Geothermie genau so viel Energie, wie sie verbrauchen. „Die Schule liefert außerdem Echtzeit-Energiedaten“, sagt der Verantwortliche stolz.

Was den digitalen Fortschritt angeht, gilt Wien vielen Städten Europas als Vorbild.
Was den digitalen Fortschritt angeht, gilt Wien vielen Städten Europas als Vorbild.

© Fabian Nitschmann/dpa

Ziel sei es, in Zukunft unter anderem durch ein kluges softwaregetriebenes Energie-Monitoring so viele Ressourcen wie möglich in eigenen Gebäuden einzusparen. Bis ins Jahr 2050 will Wien den CO2-Ausstoß um 80 Prozent senken. Digitalisierung soll dabei helfen.

Ein außergewöhnliches Digitalprojekt, das nächstes Jahr an den Start geht, verdeutlicht das: „Mit einer App, die auf Blockchain-Basis läuft, sollen die Bürger spielerisch zu klimaschonendem Verhalten animiert werden“, erklärt Huemer. Gemeinsam mit dem Forschungsinstitut für Kryptoökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien entwickelte die Stadt den „Kultur-Token“.

Die Wiener können dann über das Mobiltelefon Punkte sammeln, wenn sie zu Fuß gehen, Fahrrad fahren oder den öffentlichen Verkehrt nutzen. Diese sogenannten Token können in Kultureinrichtungen wie einem Museum oder Theater eingelöst werden. Umweltschädlich sei die dafür verwendete Blockchain-Technologie nicht, weil kein energieintensives Mining wie etwa bei Bitcoins stattfindet.

Berlin ist in Deutschland Vorreiter, in Europa abgeschlagen

Berlin hat dazu im Vergleich viele Jahre verloren. Weder gibt es eine zentrale vom Abgeordnetenhaus beschlossene Digitalstrategie wie in Wien noch eine integrierende und koordinierende Chefin wie Huemer. Die Staatssekretäre Nägele, Sabine Smentek (SPD) und Christian Rickerts teilen sich das digitale Feld, das lähmt manchmal. Eine Digitalisierungsstrategie soll Rickerts gerade entwickeln, Smart-City-Projekte Nägele anschieben und Smentek sich um die Informationstechnologie Berlins kümmern.

In Deutschland, wo das Thema Smart City in vielen Kommunen noch am Anfang steht, liegt Berlin nicht schlecht. Der Digitalverband Bitkom reiht die Bundeshauptstadt auf dem vierten Platz ein. Es gilt aber im internationalen Vergleich aufzuholen, Deutschland ist allgemein kein Digitalvorreiter. „Vieles von dem, was wir in Wien sehen, wird es bei uns auch in ein paar Jahren geben. Für uns ist das also zum Teil ein Blick in die Zukunft“, erklärt Nägele.

Derzeit seien neue Stellen in der Berliner Senatskanzlei geplant, die sich um digitale Stadtentwicklung kümmern sollen. Zuerst müsse in Berlin einmal eine Struktur geschaffen werden, um solch ressortübergreifende Projekte zu managen, bevor man an die Umsetzung gehen könne.

Wien sei vor allem deshalb auch ein spannender Referenzrahmen, da die Metropole ebenfalls Bundesland und Stadt zugleich ist. Aus dem Berliner Abgeordnetenhaus kommt außerdem die Idee eines Weisenrats mit Expertinnen und Experten aus anderen Städten, um schneller voranzukommen.

Größtest Smart-City-Testfeld Europas

Viele Initiativen, die die Wiener aktuell vorantreiben wollen, vereinen sich in der Wiener Seestadt Aspern. Auf einem ehemaligen Flughafengelände, wo vor Kurzem noch Ackerland und Grünflächen dominierten, entsteht nun ein vollkommen neues Stadtgebiet. Weit mehr als 20.000 Menschen werden hier bald wohnen, das Investitionsvolumen beträgt über fünf Milliarden Euro. Der junge Stadtteil zieht Städteplaner aus der ganzen Welt an und beherbergt einige Besonderheiten. Die Seestadt steht nicht nur für das berühmte Wohnbauprogramm Wiens, sondern ist auch eines der größten Smart-City-Testfelder Europas.

Ein autonom fahrender Elektrobus – von der Bevölkerung ob seiner Größe liebevoll „Bussi“ genannt – dreht hier bereits seine Runden. Herzstück ist ein großes Forschungszentrum: Die „Aspern Smart City Research“ (ASCR), in der sich Wien gemeinsam mit privaten Partnern wie Siemens das Ziel gesetzt hat, die „Energiezukunft im städtischen Raum“ zu erforschen. Die Daten dafür kommen von Bewohnern, die freiwillig mitmachen, von den Gebäuden selbst und vom lokalen Stromnetz. Das Zusammenspiel von Bauträgern, Technikherstellern, Verwaltung und Bewohnern sei „weltweit einzigartig“, heißt es aus der Forschungseinrichtung.

Smart City: Von Leuchtturmprojekten in Wien und woanders lernen

In Zukunft sollen so automatisierte Verbrauchsprognosen, flexible Strompreise und eine optimierte Netzauslastung möglich sein. Was die Forscher hier lernen, soll später die gesamte Stadt voranbringen und in die Fläche ausgerollt werden. Bereits vor drei Jahren wurde die ASCR am „Smart City Expo World Congress“ in Barcelona zum weltweit besten Smart-City-Projekt gekürt.

Für die Verantwortlichen in der Berliner Senatskanzlei sind die gewonnenen Eindrücke Lernprozess und Motivation zugleich, sagt Staatssekretär Nägele: „Dass wir aufholen müssen, können wir auch zu unserem Vorteil nutzen: Wir können uns Leuchtturmprojekte in Wien und anderen Städten ansehen und von ihnen lernen.“ Man müsse die Welt nicht immer neu erfinden. "Nur gut ist, was wir uns selbst in Berlin ausgedacht haben – diese Zeit ist vorbei."

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