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Berlin: „Wedding ist romantisch“

Norbert Blüm hat gleich zwei Mal hier gelebt – jetzt gibt er seine Wohnung auf. Leider, sagt er

Für mich ist Wedding eine Oase der Ruhe. Natürlich: Da fahren viele Autos, da laufen viele Menschen. Aber das Leben ist nicht aufgeregt, nicht schickimicki. Die Leute verstellen sich nicht. Das ist das Milieu, in dem ich mich wohlfühle. Vielleicht hat das etwas mit meinem Werdegang zu tun – ich war ja früher Werkzeugmacher. Ich will aber daraus keinen Mythos machen. Es war keine ideologische Entscheidung, hierher zu ziehen, als ich 1981 in Berlin Senator für Bundesangelegenheiten wurde. Ich fand den Bezirk einfach am schönsten. Deshalb bin ich auch sofort noch einmal nach Wedding gezogen, als ich 1999 mit dem Parlament wieder nach Berlin kam.

Natürlich plagen viele Menschen hier soziale Probleme. Das hat mich beschäftigt, als meine Kinder noch jünger waren. Mit 16 zog mein Sohn immer mit irgendwelchen Musikern durch die Straßen. Aber das ist vielleicht sogar besser, als wenn die Kinder abgeschirmt groß werden und nur mit heilem Spielzeug spielen. Das ist doch nicht das richtige Leben.

Charakteristisch für den Bezirk ist die persönliche Atmosphäre, in den Kneipen zum Beispiel. Die sind, anders als etwa in Mitte, keine Bühne der Selbstdarsteller. In einer Weddinger Kneipe, da bist du einfach du selbst, deshalb gehe ich dort gerne hin. Und nicht nur ich: Im „Grenzeck“ bei mir um die Ecke sind viele regelrecht zu Hause. Bei den Skatturnieren ist da immer was los wie bei Olympia.

In Wedding hat sich Nachbarschaftlichkeit eben erhalten. Ich komme selten durchs Treppenhaus, ohne zu schwätzen. Und die kleinen Läden sind richtige Klatschzentralen. Leider verschwinden sie nach und nach, wie der Gemüseladen bei mir gegenüber, wo es zum Einkauf schon mal einen Raki gab. Das ist sehr schade, finde ich, und vor allem verändert es die ganze Gesprächskultur. Wie soll man sich denn im GesundbrunnenCenter gemütlich unterhalten?

Einmal kam ich nach einer Dienstreise abends nach Hause, damals wohnte ich in der Triftstraße, im fünften Stock. Ich schleppte also meine Koffer nach oben und fiel sofort ins Bett. In der Nacht wurde ich dann ganz plötzlich wach, weil ein Mann vor meinem Bett stand und mir mit einer Stablampe ins Gesicht leuchtete – ein Polizist. Ich hatte die Wohnungstür nicht richtig zugemacht und das Licht im Gang angelassen. Da haben meine Nachbarn die Polizei gerufen; sie dachten, es sei bei mir eingebrochen worden. Und noch was. Etwas, das die wenigsten wissen: Wedding ist romantisch. Wenn im Humboldthain die Rosen blühen, das ist die reinste Duftorgie. Und entlang der Panke kann man wunderschön spazieren gehen. Dort bin ich mit meiner Frau schon stundenlang gewandert.

Jetzt lebe ich ja wieder in Bonn und bin nur noch allzu selten in Berlin. Deshalb werde ich meine Wohnung in der Grenzstraße wohl bald aufgeben. Leider. Aber eine zweite Heimat wird Wedding immer bleiben. Aufgezeichnet von Anne Seith

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