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Wedding: Kinderärzte verlassen den Soldiner Kiez

Mitte zieht Jugendgesundheitsdienst aus Weddings ärmstem Viertel ab. Mediziner protestieren.

Im Wedding steht die letzte Außenstelle des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes vor der Schließung. Nach Auskunft des Gesundheitsamtes sollen die zehn Mitarbeiter, darunter zwei Ärztinnen und Sozialpädagogen, die in der Stettiner Straße arbeiten, ins bezirkseigene Haus der Gesundheit in die Reinickendorfer Straße umziehen. Der Umzug werde „voraussichtlich in den Herbstferien“ erfolgen, sagt Stefan Busse, Leiter des Gesundheitsamtes. Durch die Konzentration im Haupthaus sollten Kosten gespart werden, auch Vertretungsdienste seien einfacher zu organisieren, so Busse.

Kinderärzte vor Ort fürchten um die Versorgung der Familien und die Gesundheit der Kinder. Der Soldiner Kiez, in dem die Beratungsstelle liegt, ist einer der ärmsten der Stadt. Laut Statistik leben hier fast 45 Prozent der Erwerbsfähigen von Hartz IV. In der Beratungsstelle werden Kinder und Jugendliche medizinisch behandelt, die Sozialarbeiter machen Hausbesuche und arbeiten mit Schulen und Kitas zusammen. Viele Kinder litten unter Koordinationsproblemen und Sprachstörungen. Mediziner befürchten, dass sich die Situation der Kinder und Jugendlichen durch die Schließung der Außenstelle verschlimmert.

15 Kinderärzte haben sich in einem offenen Brief an Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD) gewandt, um auf die Folgen der Sparpolitik aufmerksam zu machen. Ursprünglich habe es vier Außenstellen in Wedding gegeben. „Es ist immer schlimmer geworden. Die Kinder lernen in den Familien nicht die einfachsten Dinge, es fehlt an Zuwendung und Zuneigung“, sagt Christoph Möllering, seit 20 Jahren als Kinderarzt in Wedding tätig. Seine Praxis liegt an der Brunnenstraße, nahe der Beratungsstelle: „Wir können diese 1200 bis 1300 Kinder, die die Beratungsstelle behandelt hat, gar nicht auffangen.“ Kollegin Luise Schröter befürchtet: „Die Zahl der vernachlässigten Kinder wird weiter zunehmen.“

Denn die Erreichbarkeit im „Kinderwagenradius“ der Betroffenen sei wichtig. „Viele dieser Familien scheuen den Weg mit Bus und U-Bahn, wenn sie ein Problem haben“, sagt Thomas Abel, Beauftragter für den öffentlichen Gesundheitsdienst im Berliner Berufsverband der Kinderärzte. 3000 Kinder und Jugendliche in benachbarten Schulen und Kitas würden erreicht. Abel zufolge stünden die Sparmaßnahmen im eklatanten Widerspruch zu den erklärten Gesundheitszielen des Bezirks. „Der Soldiner Kiez wird abgehängt“, kritisiert Abel.

Mit der Verlegung befürchten die Ärzte, dass das Angebot „aufgrund der langen Wegstrecken in Zukunft erheblich zurückgefahren“ werde. Bezirksbürgermeister Hanke rechtfertigt den Umzug mit der „strikten Haushaltskonsolidierung“ und erwartet dadurch Einsparungen von mehreren 100 000 Euro im Jahr. „Die eigentlichen Probleme“ sieht Hanke in einem generellen Mangel an Kinderärzten im Kiez und beim Senat: „Der Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst führt dazu, dass wir nicht mehr ausreichend Ärzte und Sozialarbeiter einstellen können.“ Es fehle dem Bezirk an Personal, um gesetzliche Aufgaben wie Schuleingangsuntersuchungen künftig zu gewährleisten. Daniela Englert

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