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Schöner Schein. So hübsch wie auf diesem Bild vom letzten Jahr sieht es derzeit nicht aus auf dem Boulevard in Berlins Mitte, der von Baustellen gespickt ist.

© imago/snapshot

Weihnachts-Illumination: Unter den Linden - kein Glanz trotz Beleuchtung

Der „Prachtboulevard“ soll nun doch eine Weihnachtsbeleuchtung bekommen. Aber was wird da überhaupt angestrahlt? Ein Spaziergang.

Der Straße Unter den Linden geht nun doch ein Lichtlein auf: Berliner Bürger, Hörer von Spreeradio, malträtierten mit Hammer und Mitleid ihre Sparschweinchen, um mit ein paar Scheinchen die Erleuchtung der weltberühmten Avenue zwischen Pariser Platz und Schloss zu ermöglichen. Immerhin: 100 000 Euro sind zusammengekommen, nachdem der Senat dem Wunsch nach einer leuchtenden City die kalte Schulter gezeigt hat. Zuletzt hatte die Gasag die Beleuchtung bezahlt; der eigentlich für dieses Jahr schon gefundene Sponsor sprang wieder ab.

Wieso, fragt sich der verwunderte Bürger, tut die Stadt nichts, um der bedichteten und besungenen „Zentralen Prachtstraße“, der „ältesten Flaniermeile“, ja, dem „Prachtboulevard“ Genüge zu tun? Der Senat wirbt mit diesen vor langer, langer Zeit gültigen Begriffen, aber sie tut nichts, um sie aus dem Dunkel der Vergangenheit ins gleißende Licht von heute zu stellen.

Keine Pracht nirgends

Im Gegenteil: Wir sind die „Linden“ einmal rauf- und runtergegangen. Von Pracht ist da momentan keine Spur. Selbst wenn man sich den mit albernen Sprüchen verzuckerten U-Bahn-Bauzaun wegdenkt: Die Avenue ist und bleibt eine Baustelle, vielleicht sogar eine prächtige. Und dieses Gewirr aus Zäunen, Rohren, Brettern, Kränen, Löchern, Umgehungen und Stolperfallen soll nun auch noch beleuchtet werden?

Darf ich mal die Sündenfälle auf 1500 Metern Repräsentationsstraße aufzählen? Auf der südlichen Grünanlage am Pariser Platz, vor der gläsernen Akademie der Künste, stehen seit Jahren Baucontainer. In der Akademie herrscht, bis auf einen gut sortierten Buchladen, gähnende Leere. Hier gibt es seit Jahren keine Ausstellung, und man muss unversehens an die drei Buchstaben BER denken, wenn gesagt wird, dass die Reparatur der Klimatechnik (sic!) noch ein wenig dauern wird.

Auf der Nordseite gähnt eine Leere ganz anderer Art: Nach dem Abriss der polnischen Botschaft geschieht nichts, Warschauer Tempo gibt es nur beim Bebildern eines Bauzauns mit Werbefotos, alle anderen Versprechungen, mit der neuen Botschaft die Linden zu verschönern, wurden bislang nicht eingehalten. Jetzt ist die Bundestagsverwaltung an der Reihe: In ihrem Abgeordnetenhaus gähnte zuletzt ein von Herrn Wodarz betriebenes Restaurant mit riesigen Fenstern und Preisen. Es ist längst geschlossen. Wer kümmert sich darum, dass da etwas Neues die peinliche Leere füllt?

Souvenirshops und Dauerbaustellen

Ein paar Schritte weiter gab die Buchhandlung der „Berlin-Story“ den Linden ein kleines literarisches Alibi, aber sie musste schließen, da seit Beginn der Baustellenwirtschaft der Umsatz um 62 Prozent zurückging. Dafür breiten sich neben dem Café Einstein gleich zwei Souvenirshops aus – über ein Dutzend haben wir gezählt, mehr als die Hälfte gehört dem Branchenführer Mudderstadt, „in unserem Sortiment befinden sich über 1000 Topseller vom Magneten bis zu Fashion-Shirts“. Gerade diese Shirts mit dem dicken roten Herzen auf der Brust und anderen Motiven aus Berlin gehen am besten, sagt eine Verkäuferin gegenüber dem VW-Laden, in dem uns die Wolfsburger über das Weltklima belehren, aber nicht ein einziges Auto im Schaufenster haben.

Auf der anderen Straßenseite muss der verwunderte Spaziergänger als Linden-Rezensent tief durchatmen: die Staatsbibliothek! Seit 1999 wird der graue Koloss umgebaut, erneuert und rekonstruiert, noch heute drängelt sich das Fußvolk durch eine Baustellenumgehungsgasse, und in den umliegenden Straßen blockieren zig Baucontainer den Verkehr. Einer Jungingenieurin, die auf diesem Mini-BER arbeitet, passt das auch nicht ins Konzept, „wir rechnen mal mit 2019, dann dürfte alles fertig sein“.

Ein wichtiges Datum für die Linden, 2019 soll nämlich auch das Schloss eröffnet werden. Als Berlin-Palace. „Der Prachtboulevard erhält mit den barocken Schlossfassaden wieder seinen Blickfang“, steht am Bauzaun, schon heute genießen wir den allerbesten Linden-Blick von der Terrasse der Humboldt-Box, die das gemütliche Operncafé voll ersetzt. 360 Grad King Size View gibt es als Sahnehäubchen zur heißen Schokolade „wie zu Kaisers Zeiten“. Die Tasse kostet 4,50 Euro, ebenso viel wie „des Kaisers Latte“. Aber der Kaffee wird schnell kalt, denn jeder stürzt auf die Aussichtsplattform und hat einen wunderbaren Blick, auch die Linden entlang. Unten gähnt die Leere zwischen den Bauzäunen, kein Arbeiter ist zu sehen, die Spur der Ameisen-Menschen verliert sich im Abenddunst, zum Greifen nah sind Pilaster, Reliefs und Adlerschwingen. Schade, dass die Box nur noch zwei Jahre steht. „Aber dann gibt’s da drüben auch ein Café“, sagt die Kellnerin zum Trost.

Heine in Gedanken

Vielleicht vergessen wir bis dahin alles, was wir hier erleben mussten. Die Reiseführer werden wieder zu Recht behaupten: „Prachtboulevard“. Mit ein wenig mehr Menschen als Autos, viel Grün, frischem Lindenduft, mit Galerien, Cafés, Belletristik, Kunst, Musikalien. Und einem neuen Heinrich Heine, der sich trauen würde, dies zu schreiben:

„Ja, Freund, hier unter den Linden

kannst du dein Herz erbaun,

Hier kannst du beisammen finden

die allerschönsten Frau’n.

Sie blühn so hold und minnig

im farbigen Seidengewand;

Ein Dichter hat sie sinnig

wandelnde Blumen genannt.

Welch schöne Federhüte!

Welch schöne Türkenschals!

Welch schöne Wangenblüte!

Welch schöner Schwanenhals!“

Übrigens: Um die Ecke, in der Behrenstraße, an einem Gebäude des Bundestages, hängt ein Schild, das sagt, der Dichter habe einstmals an dieser Stelle gewohnt. Darunter war ein Haken für Kränze und Blumen angebracht. Doch wem fiel noch ein, dem Dichter einen Kranz zu flechten? Kürzlich wurde der Fall erledigt: Der Haken wurde einfach abgeschraubt. Ach, Berlin!

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