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Ein pflegender Ehemann nimmt in seiner Wohnung seine an Demenz und Parkinson erkrankte Ehefrau in den Arm.

© Bernd Thissen/dpa

Welt-Alzheimertag: Auch die Angehörigen brauchen Unterstützung

Erkrankt ein Familienmitglied an Demenz, überfordert das oft die Familie. Die Berliner Beratungs- und Betreuungsangebote der Alzheimer Angehörigen-Initiative bieten Entlastung.

Demenz verändert nicht nur die Welt der Betroffenen. Häufig stellt die Erkrankung auch das Leben der helfenden Angehörigen auf den Kopf. „Als sich meine Mutter nichts mehr merken konnte, jedes Zeitgefühl verlor und unkalkulierbar aggressiv wurde, hat mich das völlig überfordert“, berichtet Sascha Hannemann. Zu dem Zeitpunkt war der 37-Jährige Geschäftsführer eines Berliner Gesundheitsunternehmens. Die Fürsorge für seine 69-jährige Mutter kostete ihn so viel Kraft, dass er seinen Job aufgab.

Er lernte ein Phänomen kennen, dem er seit 2019 als Geschäftsführer der Alzheimer Angehörigen-Initiative am laufenden Band begegnet. Wenn ein Familienmitglied an Demenz erkrankt und plötzlich die Lebensmittel verschimmeln lässt, laufend irgendwelche Verträge unterschreibt, sich auf dem altbekannten Heimweg vom Bäcker verläuft und 50 Mal am Tag anruft, kreist das Leben vieler Angehöriger nur noch um den Betroffenen.

Für ihre eigenen Bedürfnisse und Regeneration bleibt kaum noch Raum. Derzeit leben geschätzt mehr als 60.000 Demenzerkrankte in Berlin, Tendenz steigend. Die Alzheimer Angehörigen-Initiative wendet sich vor allem an jene Berliner, die versuchen ihre erkrankten Angehörigen zu Hause zu betreuen. Die zahlreichen Angebote bieten Unterstützung und sorgen für dringend benötigte Entlastung.

Der Verein bietet ein breites Spektrum 

Gründerin der Initiative ist die Berliner Pflegerin Rosemarie Drenhaus-Wagner. In den 80er Jahren begegnete sie in der Hauskrankenpflege an Demenz erkrankten Menschen und sah, wie die Situation deren Angehörige überlastete. Nach einer Weiterbildung zur Altenpflegerin engagierte sich Wagner beruflich und ehrenamtlich bei der Alzheimer Gesellschaft Berlin und gründete 1997 die Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V..

Zu der Initiative gehört seit 2010 auch die gemeinnützige Alzheimer Angehörigen-Initiative GmbH, die die kostenlosen Beratungsangebote des Vereins um kostenpflichtige Betreuungsleistungen ergänzt. Der Verein wird finanziell vom Senat unterstützt und bietet Angehörigen von Demenzerkrankten heute ein breites Spektrum kostenloser Beratungsangebote.

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In fast 3000 Gesprächen jährlich klären 32 hauptamtliche und 47 ehrenamtliche fachkundige Mitarbeiter mit den Ratsuchenden alle Fragen, die die Betreuung an Demenz erkrankter Familienmitglieder mit sich bringt. Wie beantragt man beispielsweise einen Pflegegrad, wer erbringt welche Pflegeleistungen und wer bezahlt letztlich diese Leistungen? In fachlich angeleiteten Angehörigengruppen treffen Angehörige erkrankter Familienmitglieder zudem auf andere Angehörige. Thematisiert werden hier zentrale Fragen der Betreuung, dazu Erfahrungen ausgetauscht.

Sascha Hannemann, Gschäftsführer der Alzheimer Angehörigen-Initiative Berlin.

© Privat

Die Beratungen ergänzt die gemeinnützige Tochtergesellschaft Alzheimer Angehörigen-Initiative GmbH um eine wachsende Zahl an Betreuungs- und Pflegeleistungen für an Demenz erkrankte Menschen. Diese Leistungen kosten Geld, sobald ein Pflegegrad vorliegt, übernimmt die Kosten die Pflegekasse. Zu den Betreuungsangeboten gehört neben einem Pflegeheim in Pankow die stundenweise Versorgung von Betroffenen, wenn der Angehörige wichtige Erledigungen machen muss oder einfach ein paar Stunden Erholung braucht. Die Betreuung findet nach Bedarf zu Hause oder in einer der zahlreichen Gruppen statt, die Berlin weit derzeit an zehn Standorten existieren. In den Gruppen sorgen Betreuer für Beschäftigung, in Kleingruppen und individuell, Betroffene können dort flexibel zwischen vier und sechs Stunden teilnehmen. Die Betreuung  zu Hause wird ganz individuell an den Interessen und Möglichkeiten des Betroffenen ausgerichtet.

Spreewald oder Ostsee: Auch betreute Kurzurlaube gehören dazu 

Seit einigen Jahren gehören zum Angebot auch betreute Kurzurlaube für Angehörige und Betroffene. Gereist wird in deutsche Urlaubsregionen wie den Spreewald oder die Ostseeküste, die Gruppen werden von Betreuern begleitet, durchschnittlich zwei pro drei erkranktem Teilnehmer. Während die Betroffenen einzeln oder in Kleingruppen betreut ganz nach Neigungen und Fähigkeiten Freizeitaktivitäten nachgehen - beispielsweise spielen, spazieren gehen oder ins Museum -, haben die Angehörigen Zeit sich zu erholen und Kraft zu tanken. 

Ein relativ neues Engagement zielt auf die Sensibilisierung der Öffentlichkeit ab: Da die Betroffenenzahlen weiter steigen, bietet die Initiative Schulungskurse für Unternehmen des öffentlichen Lebens an und vermittelt deren Mitarbeitern eine Grundkompetenz in der Begegnung mit Demenzkranken. Die Teilnehmer werden von der Alzheimer Gesellschaft Berlin zu so genannten „Demenz Partnern“ zertifiziert. Zu den Nutzern der ersten Stunde gehören die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die Mitarbeiter ihres Begleitservices schulen ließen, die Krankenkasse BKK VBU ließ Servicemitarbeiter zertifizieren. „Wir gehen auch auf Behörden wie Polizei und Feuerwehr zu und Unternehmen wie Supermärkte“, erklärt Sascha Hannemann. Die Pandemie habe das neue Angebot zwar ausgebremst, der steigende Bedarf werde aber gesehen, das Interesse sei entsprechend groß.

Andreas Monning

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