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Berlin: Wem gehört die soziale Gerechtigkeit?

Der Kampf mit den Gewerkschaften strapaziert den sozialen Anspruch der rot-roten Koalition

Was schon bei der Unterzeichnung des rotroten Koalitionsvertrages im Januar als schwierige Herausforderung erkennbar wurde, spitzt sich nach dem Scheitern der Solidarpaktverhandlungen zu einer Bewährungsprobe für Rot-Rot zu: Wie lassen sich die Härten der Haushaltskonsolidierung mit dem Anspruch auf soziale Gerechtigkeit und der Gewerkschaftsnähe beider Parteien vereinbaren? In den kommenden Tagen werden die Gremien von SPD und PDS beratschlagen, wie es weitergehen soll – und wie die Parteien den schwierigen Spagat bewältigen können.

„Soziale Gerechtigkeit und öffentliche Sicherheit sind für uns die zentralen Aufgaben des staatlichen Handelns“, heißt es in der Präambel des Koalitionsvertrags von SPD und PDS. Doch in derselben Präambel ist schon formuliert, woran sich die hehren Grundsätze der Koalitionsparteien gleichfalls messen lassen müssen: „Die Bewältigung der Haushaltsprobleme hat die erste Priorität in der Koalitionspolitik.“

Kurzfristig trägt die PDS schwerer am Scheitern der Verhandlungen. Gerade nach dem für die Berliner Sozialisten verheerenden PDS-Bundesparteitag von Gera steht sie unter verschärfter Beobachtung derjenigen in der Partei, die die Oppositionsrolle vorziehen: Findet die Formel von der sozialen Gerechtigkeit auch Niederschlag in der Politik der Berliner PDS? Bereits am Freitagabend wollte der PDS-Landesvorstand tagen. Vorgesehen war eigentlich die Nachbereitung des Bundesparteitages. Doch seit die Solidarpaktgespräche in dieser Woche als gescheitert bezeichnet werden müssen, haben sich die Fragen nach den sozialen Ansprüchen und realen Regierungsnotwendigkeiten noch weiter zugespitzt. Eine Formel für die Bewältigung des Spagats hat die Landesführung noch nicht gefunden. Zum einen müsse nun deutlich gemacht werden, heißt es aus der PDS, dass gerade die Vorschläge im Solidarpakt wie etwa Weihnachtsgeldkürzung nur im oberen Gehaltsbereich sozial gestaffelt waren. Und dass zweitens diese soziale Staffelung sehr wohl dem Drängen der PDS zu verdanken sei, nicht dem des sozialdemokratischen Koalitionspartners.

Am kommenden Dienstag trifft sich die PDS im Abgeordnetenhaus zu einer Fraktionssondersitzung, Fraktionsdisziplin könnte dort eines der Themen werden. In Richtung der Gewerkschaften sagte der Fraktionsvorsitzende Stefan Liebich: „Nur weil wir soziale Gerechtigkeit wollen, unterschreiben wir jetzt nicht alles, was die Gewerkschaften fordern.“ Die Versuchung sei für einige Parteimitglieder jetzt sehr groß, sagt ein PDS-Mann, dass einzelne sich gerade beim Solidarpakt im Sinne sozialer Gerechtigkeit und auf Kosten des Koalitionsfriedens profilieren.

Die Berliner Sozialdemokraten wehrten sich am Freitag gegen die Selbstdarstellung der Gewerkschaften als Vertreterin der sozialen Gerechtigkeit. Der Fraktionsvorsitzende Michael Müller betonte, der Senat habe den Gewerkschaften ein „wohl überlegtes Paket offeriert“, dass sich „auch unter sozialen Gesichtspunkten“ sehen lassen könne. Er erwarte von der Gewerkschaften nicht zuletzt, sagte Müller, „dass sie bei allen künftigen Überlegungen die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer in Ost und West im Auge behalten“. Schließlich könnten sie niemandem erklären, schon gar nicht den öffentlich Bediensteten im ehemaligen Ostteil, dass ihre Verweigerungshaltung „gerade dort zahlreiche Arbeitnehmer den Arbeitsplatz kosten würde“.

Die SPD trifft am kommenden Dienstagabend zu einer Vorstandssitzung zusammen, dort steht der Solidarpakt unter TOP 2 auf der Tagesordnung. Und am Mittwoch wollen SPD-Fraktionschef Müller und PDS-Fraktionschef Liebich gemeinsam darstellen, welche Anstrengungen sie unternommen haben, um zu einer Einigung mit den Gewerkschaften zu kommen.babs

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