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Berlin: Wenn die Kellner Klagelieder singen

Weil sich die Unternehmen die Weihnachtsfeiern sparen, stehen viele Wirte vor der Pleite

Im Advent ist es im Wirtshaus Schildhorn normalerweise wie im Sommer: krachend voll. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Das Wirtshaus nahe einer kleinen Havelbucht liegt am Rande des Grunewalds und an lauen Sommertagen tummeln sich die Gäste hier unter malerischen Kastanien, im Winter speisen sie im historischen Gartensaal. Geschäftsführer Hilmar Gathof machte bisher in diesen Tagen das Geschäft des Jahres, denn pünktlich zum ersten Advent kamen die Berliner Unternehmer in Spendierhosen und verwöhnten ihre Mitarbeiter mit knusprigem Gänsebraten und edlen Weinen. Diesmal bleiben die Tische unter den schweren Leuchtern jedoch leer. „Früher sind die Firmen hier mit 200 Leuten angerückt, haben vom Feinsten bestellt und am Ende alles bezahlt“, berichtet Gathof. Nun verzichten vor allem Großunternehmen, zum Teil, so Gathof, mit „blöden Ausreden“. „Manche behaupten sogar, sie hätten das Geld gespendet!“

Überall in Berlin stimmen Kellner und Küchenchefs in das Klagelied ein. Weil sich die Unternehmen die Weihnachtsfeiern sparen, bricht ihnen der Umsatz weg. Nach Informationen des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) rechnen die Gastronomen beim hochprofitablen Geschäft mit den Betriebsfesten mit Rückgängen von bis zu achtzig Prozent. Auch in einer Tagesspiegel-Umfrage bestätigte eine große Mehrheit die vorweihnachtliche Flaute.

Selbst Lokale, die früher schon im Sommer für die Adventszeit ausgebucht waren, vermissen ihre Stammkunden: Handwerksbetriebe und Kanzleien, aber auch Abteilungen von Siemens, Schering und der Sparkasse. Vor allem die klein- und mittelständischen Firmen begründen den Wirten ihre Absage offen mit der schlechten Finanzlage und der gedrückten Stimmung. „Wer in diesem Jahr Mitarbeiter entlassen musste, kann es kaum verantworten, zu Weihnachten Geld für Partys auszugeben“, vermutet Deff Haupt, Küchenchef des Literatur-Cafés Tucher am Brandenburger Tor.

„Manche Unternehmen schicken nur noch ihre Manager“, beobachtet Werner Kieselhorst, Küchenchef der Zitadellen-Schänke in Spandau. Andere Wirte erleben, dass Mitarbeiter zum Beispiel der Bewag und der Volksbank die Feier jetzt privat zahlen müssen. Da solche Gäste weitaus zögerlicher bestellen, sind die Feste für die Lokale nicht mehr rentabel.

Mit dem weihnachtlichen Sparkurs der Unternehmen versiegt eine der wichtigsten Einnahmequellen der Gastronomen. Am Ende eines ohnehin katastrophalen Jahres mit durchschnittlichen Umsatzrückgängen von sieben Prozent alleine bis Ende September sind viele von der Pleite bedroht. „Schauen Sie sich doch mal die Immobilien-Anzeigen an, noch nie gab es so viele Verkaufs- und Verpachtungsangebote von Restaurants“, sagt Ruzica Krakan, die Inhaberin des Pankower Ballhauses.

Karl Weißenborn, Hauptgeschäftsführer des Dehoga in Berlin, schätzt die Umsatzeinbrüche im gesamten Weihnachtsgeschäft auf zwanzig Prozent. „Die Firmen kürzen an der falschen Stelle“, sagt er, „Weihnachtsfeiern sind doch wichtig für den Seelenzustand und die Motivation.“

In den großen Unternehmen bestätigt man Kürzungen bei Weihnachtsfeiern nur teilweise. Die Volksbank strich ihren Mitarbeitern schon vor Jahren die Finanzierung des Festes. DaimlerChrysler spart sich die zentrale Weihnachtsfeier mit der Begründung, kurz vor Weihnachten finde sowieso eine Mitarbeiterversammlung statt. „Was die Kollegen daraus machen, wird man sehen“, sagt Sprecher Peter Maahn. Bei Schering, Siemens und der Bewag hingegen werden die Feiern von den einzelnen Abteilungen finanziert. „Wenn das Geld am Jahresende noch reicht, können sie feiern“, sagt Mathias Claus, Sprecher bei Schering. Dass es in diesem Jahr häufig nicht mehr fürs Feiern reicht, will man jedoch in keinem der Unternehmen ausschließen.

Robert Heinrich

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