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Berlin: Wenn die Nächte milder werden IN FRIEDRICHSHAIN AM PARISER PLATZ VOR DER US-BOTSCHAFT

Seit fünf Tagen harren die Friedensaktivisten vor der amerikanischen Botschaft aus

Ein Mann mit Krawatte stolpert telefonierend über das bunt bemalte Transparent. Er fängt sich, telefoniert weiter und beachtet gar nicht, dass Unter den Linden, in der Nähe der US-Botschaft seit einigen Tagen etwas anders ist als sonst. Längst haben sich die Leute, die hier jeden Tag zur Arbeit gehen, an das Friedenscamp und seine bunten Bewohnern gewöhnt.

Zum fünften Mal senkt sich die Sonne über die Plastikplane, provisorisch hochgehievt mit zwei dicken Baumästen, so dass es aussieht wie ein Zelt. Drumherum Schlafsäcke, Isomatten und jede Menge süßlich riechende Kerzen.

„Gestern Nacht waren wir noch zwanzig, heute Nacht sind wir mehr als fünfzig“, erzählt Shalom (21), die Initiatorin dieser Mahnwache. „Und morgen werden wir Hundert“, glaubt sie selbstbewusst, die ihren wahren Namen nicht verraten will.

Zusammen mit ihrer Freundin Jeannette war sie am Tag X auf der Schülerdemo. „Genau hier, kurz vor der US-Botschaft, kamen wir auf die Idee zu bleiben.“ So lange wie der Krieg dauert. Am gleichen Tag holten sie sich aus dem Tiergarten ein paar Äste und von zu Hause ihre Schlafsäcke und eine Plane. Seitdem sind sie hier. Dass Greenpeace mit einer ähnlichen Idee hier steht, sei Zufall, sagt Shalom. An das stündliche Geläut der großen Bronzeglocke habe sie sich gewöhnt. Und das dreienhalb Meter hohe, stählerne Friedenszeichen, an dem die Umweltaktivisten jede Stunde eine Kerze anzünden, sei „inzwischen schöner als ein Weihnachtsbaum“. Über 120 Lichter zählt Shalom inzwischen: „Ein schöner Kontrast zu den grellen Scheinwerfern der Polizeiwannen auf der gegenüberliegenden Straßenseite.“

„In der ersten Nacht war an Schlaf nicht zu denken“, sagt Shalom. Es war minus 9 Grad. Doch inzwischen sind die Nächte milder geworden.

Shalom wohnt erst seit zwei Wochen in Berlin. Politisch aktiv ist sie aber schon seit Jahren, unter anderem protestierte sie schon in Gorleben gegen Atomtransporte. Und immer wählte sie den gewaltfreien Protest in einem Camp. Eine Ausbildung hat sie nicht. Ihr Beruf: „Daueraktivistin“. Ihre Freundin hingegen, die ebenfalls seit Beginn mit ihr hier ausharrt, geht jeden Morgen diszipliniert um 8.30 Uhr zur Schule.

Nach der Schule kommt sie zurück. „Ich wohne hier“, sagt Jeannette. Zumindest so lange, wie der Krieg dauert. Wie lange das ist? Das sei schwer zu beurteilen, gibt sie zu. Die Kriege von heute hätten häufig kein Ende. „So wie in Afghanistan.“ Dort werde ja auch noch immer gebombt. Shaloms Mahnwache ist bis Donnerstag genehmigt. Dann will Shalom zur Wache gehen, um die Platzgenehmigung zu verlängern. „Die sind sehr zuvorkommend“, sagt sie.

In diesem Augenblick wird es hektisch. Die 50 Friedensaktivisten, die gerade noch sangen, rennen auf die andere Straßenseite. Die Polizei hat einen Demonstranten festgenommen. „Reine Routinekontrolle“, versichert der Einsatzleiter.

„Bleibt ruhig“, ruft Shalom den Aktivisten zu. Aber die wissen sich ohnehin anders zu helfen als die Demonstranten am vergangenen Samstag, die hier lauthals zu den Polizisten brüllten: „Haut ab“. Sie heben im Kreis die Hände und singen den John-Lennon-Klassiker: Give Peace a Chance. Ob das hilft? Der Demonstrant kommt nach der Personalienfeststellung frei. War ja auch nur eine Routinekontrolle, hatte der Polizist gesagt.

Felix Lee

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