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Berlin: Wenn Prinz Alfred das Geweih in den Sand bohrt

In unserer treffsicheren Serie landeten wir diesmal mitten in der City: im Zoologischen Garten. Und zwar im Hirschgehege

Von Katja Füchsel

Der Mann spürt, wann er nicht willkommen ist. Wenn er das Futter ins Gehege bringt, die Hirsche den Kopf senken und mit ihrem Geweih im Sand herumbohren. Wenn die Tiere plötzlich seitlich durchs Gehege tippeln. Oder sabbernd die Lippen hochziehen. Dann weiß Uwe Gebauer, was zu tun ist. „Man sollte schleunigst das Weite suchen.“ Der Tierpfleger steht in Jeans und T-Shirt am Herd, piekt mit einem Messer in die Möhren und stellt den dampfenden Topf dann vor die Tür. Hirschfutter.

Die Wege des Pfeils sind unergründlich. Diesmal traf er mitten in die City. Mitten in den Zoologischen Garten. Hinein ins Hirschrevier. Zu Uwe Gebauer, seinen drei Kollegen, zu den Davids, Pudus, Sambas, Barasingas – und den zwei Kängurus. „Die sind aus Platzgründen bei uns untergebracht“, sagt der Tierpfleger im „Hirschhaus“, einem über hundert Jahre alten Fachwerkgebäude.

Das Haus hält, was der verspricht. Links drücken sich die Pudus, die kleinsten Hirsche der Welt, im Schatten herum, rechts die Prinz-Alfreds. Drei der Mini-Pudus haben sich in die Ställe im Haus zurückgezogen. Aber auch im Aufenthaltsraum der Pfleger bleiben die Hirsche allgegenwärtig: auf Fotos gerahmt, auf einen Wandteppich geknüpft, auf Fenster geklebt.

Während nebenan die Kinder bei der Robbenfütterung kreischen, die Menge klatscht und drängelt, führen die Männer im Hirschhaus ein eher beschauliches Leben. Gebauer ist das egal. „Das mit den Hirschen ist eher ein Insiderding“, sagt er. „Unspektakulär, aber hinter den Kulissen wahnsinnig spannend.“ Gebauer ist natürlich ein Insider, seit 15 Jahren arbeitet er in den Ställen. Morgens, so gegen sieben, zieht er erst mal durch das Revier. Um die über 60 Tiere zu zählen, zu schauen, ob sich in der Nacht Nachwuchs eingestellt hat, ob alle gesund sind. „Durchfall ist bei den Wiederkäuern etwas ziemlich Heftiges“, sagt er. Eines der sieben Rentiere bleibt deshalb heute im Stall, die Pfleger haben es auf Diät gesetzt.

Wenn Gebauer einen neuen Azubi begrüßt, weiß er schon, was kommt. Alle wollen ins Affenhaus. Zu den Robben. Oder zu den Nachttieren. Aber Hirsche? „Naja, Streicheltiere sind’s nicht“, sagt Gebauer auf dem Weg durch die Gehege. Eben noch hat er im Hirschhaus das Futter gewaschen und geschnippelt, Kartoffeln, Gurken, Paprika, Bananen, Orangen, Äpfel. Die Moschus-Tiere, die „mit den Graf-Dracula-mäßig verdrehten Eckzähnen“, bereiten den Pflegern derzeit Sorgen, weil sie nicht richtig fressen wollen. „Da experimentieren wir seit Tagen mit dem Futter.“

Gebauer riecht es schon lange nicht mehr, dieses schwere Aroma, das in den Ställen der Hirsche hängt. Eine Mischung aus Heu und Stroh, Fell und Dung, Holz und Erde. „Der größte Teil des Tages geht fürs Saubermachen drauf“, sagt er und zieht ein paar Scheiben Zwieback für seine liebsten Kandidaten aus der Tasche. Vorsichtig nähern sich fünf Hirsche mit mächtigen, fellbewachsenen Geweihen dem Eindringling: „Die Rentiere find ich schon toll“, sagt er. Uns führte die Spitze des Pfeils zu den Hirschen, aber was brachte den Pfleger damals hierher? Gebauer lacht. „Auch eher der Zufall. Im Gehege wurde eine Stelle frei.“

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