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Berlin: Wer hat Schuld an der Pisa-Misere?

GAZETELER RÜCKBLICK Jeden Montag im Tagesspiegel: ein Rückblick auf die in Berlin erscheinenden türkischen Tageszeitungen. „Schuld hat nicht der ausländische Schüler“ hieß es am Mittwoch in großen Buchstaben in der Tageszeitung Türkiye.

GAZETELER RÜCKBLICK

Jeden Montag im Tagesspiegel: ein Rückblick auf die in Berlin erscheinenden türkischen Tageszeitungen.

„Schuld hat nicht der ausländische Schüler“ hieß es am Mittwoch in großen Buchstaben in der Tageszeitung Türkiye. Anfang der Woche waren die Ergebnisse der dritten Pisa-Auswertung bekannt geworden. „Die Pisa-Ergebnisse widerlegen die Behauptung, dass ausländische Kinder das Leistungsniveau in deutschen Schulen senken“, erklärte die Türkiye in den Unterzeilen – ganz im Gegensatz zu deutschen Zeitungen.

Denn in der 432-Seiten starken Studie heißt es unter anderem, dass bereits ein Ausländeranteil von 20 Prozent das Leistungsniveau in einer Lerngruppe senkt. Die Pisa-Experten führen das schlechte Ergebnis aber auch darauf zurück, dass die Lehrer nach dem althergebrachten Frontalunterricht vorgehen. Genau dieser Aspekt veranlasste die Türkiye zu ihren zunächst verwirrenden Zeilen. Damit will die Zeitung sagen, dass sie es jetzt als erwiesen ansieht, dass nicht allein die türkischen Eltern die Schuld an der Bildungsmisere ihrer Kinder tragen, sondern auch die deutsche Gesellschaft.

Die Hürriyet reagierte erst am Donnerstag auf die Auswertung. Bis dahin hatten die deutschen Zeitungen bereits Politiker befragt, ausführliche Texte geschrieben und das Thema kommentiert. „Die Pisa-Rechnung geht an uns“, schimpfte deshalb die Hürriyet im Gegensatz zur Türkiye. Die Zeitung reagierte damit auf Forderungen von CDU/CSU-Politikern: „Weil Deutschland im weltweiten Vergleich hinten ansteht, wird für ausländische Kinder vor der Einschulung ein Sprachtest verlangt. Die Pisa-Studie soll Thema der Zuwanderungsdebatte werden.“ Diskussionen, Analysen, Expertenmeinungen und Kommentare blieben jedoch aus. Statt dessen nahmen die beiden Zeitungen ihre Landleute in Schutz.

Der Türkiye kann man zugute halten, dass sie ihren Lesern seit Monaten einen gut konzipierten Deutschkurs anbietet, der vom Deutschen Sprachverband erarbeitet wurde. Bisher sind mehr als 110 Folgen erschienen. Und in der Hauptstadt-Beilage der Hürriyet läuft eine Schulserie, in der die Direktoren von Schulen in Kreuzberg, Neukölln und Wedding den Eltern wertvolle Ratschläge geben. Allerdings laufen beiden Zeitungen auch Sturm, wenn irgendwo der Türkischunterricht eingestellt werden soll. Eine „Botschaft“ des türkischen Ministerpräsidenten Abdullah Gül, den die Hürriyet ebenfalls am Donnerstag veröffentlicht hat, könnte Aufschluss über diese scheinbar widersprüchlichen Aktionen geben. „Die Europa-Türken werden die Türkei in die EU tragen, wenn sie sich integrieren“, ist sich Gül sicher. „Er meint damit nicht, dass sie sich dabei von ihrer eigenen Kultur lösen sollen“, betonte die Hürriyet.

Fazit: Um Artikel in türkischen Zeitungen zu verstehen, reicht die türkische Sprache allein oft nicht aus. Der Leser muss auch die türkischen Befindlichkeiten verstehen.

Suzan Gülfirat

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