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Berlin: Werner Krause (Geb. 1925)

Die Modelleisenbahn: eine Welt, ganz nach seinen Vorstellungen

Alles liegt noch so, wie er es hinterließ. Die Bahnhöfe, die Gleise. Eine Lok steht auf dem Abstellgleis, zwei Autos auf dem Bahnhofsparkplatz, die Uhr am Kirchturm zeigt zwölf Uhr. In der feuchten Luft liegt ein Hauch Modellbaukleber. Im Dachzimmer, in dem Werner Krause so viele Stunden seines Lebens verbrachte, ist es kalt. Er war fürsorglicher Vater, liebender Ehemann, strenger Lehrer – und Modelleisenbahner.

In dem Zimmer ist nur ein schmaler Gang frei. Krauses Hocker steht vorm Schaltpult. Die Werkstatt nebenan, wo er gelötet und geklebt hat, ist penibel aufgeräumt wie zu seinen Lebzeiten.

Geprägt hat ihn der Dienst bei der U-Boot-Truppe. Mit 18 ist er eingezogen worden. Nach der Funker-Ausbildung erlebte er noch wenige Monate auf dem Boot. Sein Führungszeugnis allerdings war miserabel: „Besitzt wenig Willenskraft und muss ständig beaufsichtigt werden.“ Er sprach später kaum über die Zeit im Krieg und über die drei Jahre Gefangenschaft in Norwegen.

Er war dann Ausbilder bei der Bundespost, die noch für die Telefonie zuständig war. Die Berufswahl, ein Akt der Vernunft. Seinem Sohn erzählte er später, dass er lieber Maschinenbau studiert hätte. Nach dem Krieg war das jedoch kaum möglich, und schließlich konnte er seine kleine Familie mit dem Beamtengehalt der Post gut durchbringen.

Akribisch verwaltete er die Finanzen, selbst im Italien-Campingurlaub notierte er in einem kleinen Heft sämtliche Kostenpunkte. Für verschiedene Ausgaben wie Hobbys und Kleidung führte er separate Kassen. Seine Kinder erinnern sich an einen fürsorglichen, einfühlsamen Vater, der Respekt einforderte – erst recht als Lehrer. In der Berufsschule hieß es: „Haste Elektrotechnik bei Krause, bleib lieber gleich zu Hause.“ Wenn Krause am Wohnzimmertisch Klausuren korrigierte, regte er sich furchtbar auf über die Faulheit seiner Schüler und deren Unvermögen, gerade Sätze zu formulieren.

Beruhigt hat ihn die Modelleisenbahn. Die Miniwelt konnte er ganz nach seinen Vorstellungen gestalten. Angefangen hat es am sechsten Geburtstag seines Sohnes mit einer Lokomotive und ein paar Metallwaggons. Mit ausgeliehenen Gleisen und einem Trafo bauten sie die erste Anlage im Wohnzimmer auf. Stundenlang knieten Vater und Sohn auf dem Boden. Die Strecke verlief unter dem Schrank und dem Ecksofa hindurch, das mit Klötzen aufgebockt wurde. Von da an wurde die Eisenbahn immer in den Weihnachtsferien aufgebaut, von Jahr zu Jahr trieb Krause das Projekt voran. Die Küche wurde zur Werkstatt umfunktioniert. Geburtstage des Sohnes und Weihnachtsfeste waren die Anlässe für teure Neuanschaffungen, von der Arbeit brachte er Kabelbäume mit. Nach Weihnachten wurde alles auf dem Hängeboden verstaut.

Als die Wilmersdorfer Wohnung für die Familie zu klein wurde, kaufte Krause vom eisern ersparten Geld ein Reihenhaus in der Zehlendorfer Onkel-Tom-Siedlung, Parkplatz vor der Tür, kleiner Garten hinterm Haus. Und ein Zimmer für die Eisenbahn. Hier saß er, und hier tüftelte er, hier konnte der Sohn vertraut mit ihm reden. Der Vater wusste Rat.

Wenn mittags das Essen auf dem Tisch stand, rief Edith nach oben: „Werner, nun komm doch mal!“ Er rief zurück: „Ja, gleich!“ Wenn sie zehn Minuten später wieder rief: „Nun komm doch mal“, rief er: „Ich muss nur noch was löten!“

Edith ließ ihm seine Freiheit und genoss die ihre. Sie besuchte Englischkurse an der Volkshochschule oder traf Freundinnen. Manchmal setzte sie sich zu ihm unters Dach und las ein Buch. Als die Kinder längst aus dem Haus waren, machten sie Ausflüge in die Genshagener Heide zum alten Bahnhof. Dort gingen sie spazieren, immer an den Gleisen entlang.

Einige Jahre vor seinem Tod fragte Krause seine Kinder, ob er die Eisenbahn nun abbauen solle, um ihnen die Arbeit zu ersparen. Er sollte nicht, die Eisenbahn blieb, wie sie war. Kurz vor seinem Schlaganfall räumte Krause seinen Schreibtisch aus, holte die wichtigsten Unterlagen hervor und regelte alle finanziellen Angelegenheiten. Edith sollte keine Sorgen haben.

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