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Berlin: Westernrausch im Märkischen Viertel

Zur Country-Music-Messe kamen mehr als 10 000 Besucher in den Berliner Norden. Einige reisten sogar aus Amerika an

„Hier treffen sich Leute aus Amerika und Australien, aus Polen und Holland, aus Tschechien und Kanada“, sagt Jutta Wilde, 67, die mit schwarzen Lederfransen aus Charlottenburg angereist ist. Erna, 82, in Jeansblau und Wildleder gekleidet, ist Reinickendorferin. Sie deutet auf die Tanzfläche im Fontane-Haus im Märkischen Viertel: „Wenn Sie das sehen, müssen Sie einfach begeistert sein.“ Westernfreunde aus aller Welt wiegen beim Linedance hin und her wie ein einzige Woge. „Wir haben mehr Karten verkauft als vergangenes Jahr“, freut sich Kai Ulatowski, Mitveranstalter der „8. Internationalen Country-Music-Messe“ am Wilhelmsruher Damm. Rund 10 000 Besucher schlüpften am Wochenende in Cowboystiefel oder Rüschenrock und tanzten sich in Westernrausch.

Ute und Andreas Ludwig sind extra aus Angermünde zum Szenetreff nach Berlin gereist. „Normale Tanzkurse? Sind uns zu langweilig“, sagen die 41-jährige Pharmazie–Ingenieurin und der 42-jährige Nachrichtentechniker unisono. Dann schon lieber Promenade und Pivotturn, Wiggle und Chattahoochee. Jugendliche begeistern sich jetzt zunehmend für den Western-Stepptanz „Clogging“. Aber dafür müsse man auch mehrmals die Woche trainieren, sagt ein Tänzer und winkt ab: ohne ihn. Der Name seiner Country-Dance-Truppe kommt nicht von ungefähr. „SOS“ heißt der Verein, und das steht hier für „Spaß ohne Stress“.

Enrico Adler geht einen Schritt weiter. Der 33-jährige Elektromeister aus Friedrichshain wurde gerade in Nashville, Tennessee, zum Weltmeister im „Country & Western Line Dance“ gekürt. Der Berliner organisiert die „1. Berlin Open Country Western Dance Championships“ im März in den Tegeler Seeterrassen.

Während sich die Country-Gemeinde in den USA gerade auf ihre Wurzeln besinnt und wieder zu Fiddle und Steelguitarre greift, bemühen sich die Berliner Westernfans, dem Nachwuchs mit innovativen Schrittkombinationen Beine zu machen. „Die kann man auch auf jedes Lied aus den Charts tanzen“, sagt der Friedrichshainer Worldchampion.

Westerndance scheint wie gemacht für eine Single-Metropole wie Berlin: Jeder lernt die Schritte für sich allein, kann aber schnell mit den anderen auf der Tanzfläche zu einem Mega-Tanzgemenge verschmelzen. „Kein Wunder“, meint auch Enrico Adler, „dass die Country-Fangemeinde in Berlin immer größer wird“. Gunnar Jahn, 30, aus Lichtenberg ist längst kein Greenhorn mehr. Er trifft sich seit Jahren zum Indian Show Dance. „Früher in der DDR waren Cowboy-Clubs verboten – aber die Indianerkultur wurde als unterdrückte Klasse geduldet“. Er kann viel erzählen über Omaha-Dance, Freestyle und all die Powows auf die er sich im kommenden Sommer schon freut. Das Kostüm seines Freundes sieht mit den bunten Bindfäden im Vergleich zum Feder-Knochen-Büffel-Outfit der Mittänzer fremd aus. „Die Fransen sind den Grasbüscheln nachempfunden, die Indianer früher ansteckten.“

Westerntanzkurse finden im American Western Saloon am Wilhelmsruher Damm 142c statt. Ein Abend unter anderem mit Weltmeister Enrico Adler kostet 2,60 Euro – Infos und Anmeldung unter Telefon (030) 40728780.

Annette Kögel

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