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WHO-Lob für die Forscherstadt: „Berlin bietet das richtige Ökosystem aus Medizinern, Biologen, Datenspezialisten“
Der britische Top-Epidemiologe Oliver Morgan leitet Berlins WHO-Hub. Er sieht die Stadt auf dem Weg zum internationalen Medizin-Hotspot – der indirekt von US-Präsident Trump profitiert.
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Universitäten und Senat streiten um Millionensummen, die Charité wird Studienplätze streichen und selbst für gutverdienende Fachleute fehlen Wohnungen. Kann Berlin seinen Ruf als Wissenschaftsmetropole trotzdem retten? Vielleicht wäre ein guter Zeuge jemand, der weltweit in anerkannten Forschungszentren tätig war: Oliver Morgan, 1973 geboren, Brite, Epidemiologe.
In Berlin lebten die richtigen Leute für „die Forschung der Zukunft“, sagt Morgan, der in London als Public-Health-Spezialist startete, also als Fachmann für öffentliche Gesundheit. Er war für die US-Gesundheitsbehörde CDC in Atlanta tätig, wo er sich mit der Gefahr durch Infektionen befasste, und arbeitete in der Zentrale der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf. Inzwischen leitet Morgan den Berliner WHO-Hub in Kreuzberg. Dort traf ihn der Tagesspiegel.
Charité-Virologe Drosten half dem Image
Noch vor der Corona-Pandemie hatte Berlin – anders als London, Genf, Seoul oder Singapur – keinen Ruf als „Global Health“-Zentrum. „Global Health“, also globale Gesundheit, bezeichnet ein interdisziplinäres Feld, das sich mit gesundheitlicher Prävention und medizinischer Versorgung weltweit befasst.

© WHO/Marius Bauer
Mit der Corona-Krise jedoch sei die deutsche Hauptstadt für die weltweite Forscherzunft interessant geworden, sagt Morgan. Anlass war der weltweit erste Sars-CoV-2-Test, den Charité-Infektiologe Christian Drosten im Januar 2020, also schon am Anfang der Pandemie, zur Verfügung stellte. „Ohne diese PCR-Tests wären wir lange blind gewesen“, sagt Morgan. „Die Pandemie wäre vermutlich noch gravierender verlaufen.“
120 Beschäftigte, 90 Prozent Datenanalyse
Auch das in Deutschland oft scharf kritisierte Robert-Koch-Institut (RKI) hat Morgan zufolge unter internationalen Forschern einen guten Ruf. „Insgesamt bieten Berlin und sein Umland ein Ökosystem aus Medizinern, Biologen, Datenspezialisten, die es braucht, um die Forschung der Zukunft zu betreiben“, sagt der Top-Epidemiologe. Morgan bezieht sich insbesondere auf die Universitätsmediziner der Charité, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Technische Universität und das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam, mit dem man bald gemeinsame Projekte starten wolle.
Der WHO-Hub selbst, der in einem schnörkellosen Neubau am Moritzplatz seinen Sitz hat, ist Folge der Corona-Krise. Im Jahr 2021 regte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus an, in Berlin ein Zentrum zur Pandemiebekämpfung einzurichten. Ziel des Hubs der WHO sollte es sein, Ausbrüche gefährlicher Infektionen früher zu erkennen und bestenfalls zu verhindern.
Internationaler Zuzug wegen Donald Trump
Umfangreiche Daten analysieren zu können, sei der Schlüssel für die Pandemieprävention, sagte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Eröffnung im September 2021. Und so stehen in dem Frühwarnzentrum keine Labore, sondern werden mithilfe künstlicher Intelligenz riesige Datenmengen analysiert – darunter Werte aus der Tierwelt, Zahlen zu menschlicher Mobilität und Details zu Wetterphänomenen.
In vielen Ländern der Welt herrscht ein Grundvertrauen in deutsche Stellen.
Oliver Morgan, WHO-Epidemiologe
Morgan führt in Berlin mehr als 120 Mitarbeiter, darunter Koreaner, Brasilianer, Chinesen. Gesprochen wird meist Englisch. Die Arbeit besteht zu 90 Prozent in der Analyse digital vorliegender Daten. Ein wenig erinnert der Hub an die Zentrale eines Nachrichtendienstes: Von WHO-Vertretern weltweit, von Hilfsorganisationen und Gesundheitsbehörden kommen Meldungen, es werden Erdbeben, Fluten, Lebensmittelvergiftungen, Missernten analysiert. Aus den WHO-Analysen werden Empfehlungen für politische Entscheider abgestimmt.
Daten zu Erdbeben, Fluten, Missernten
Ein wenig erinnert der Hub an die Zentrale eines Nachrichtendienstes: Von einzelnen WHO-Vertretern in vielen Staaten der Welt, von Hilfsorganisationen, Diplomaten und lokalen Gesundheitsbehörden kommen Meldungen zu auffälligen Vorkommnissen. Dazu werden öffentliche Angaben etwa zu Erdbeben, Fluten, Lebensmittelvergiftungen, Missernten analysiert. Letztlich geht es darum, Muster zu erkennen, Risiken abzuschätzen und Erfahrungen aus ähnlichen Ereignissen abzugleichen. Aus den WHO-Analysen werden Empfehlungen für politische Entscheider abgestimmt.
Ob sich Berlin als Medizinmetropole behaupten wird? Zumindest, sagt Morgan, könne er bestätigen, was schon andere beobachteten: Seit Brexit und Donald Trump dränge es immer wieder Forscher aus Großbritannien und den USA in andere Staaten. Die Wissenschaftsszene in Deutschland werde zugleich kosmopolitischer, was dazu führe, dass sich viele Forscher hier besser aufgehoben fühlten.
Mehr als 40 Hochschulen in Berlin
Und das eben gerade in Berlin. An elf landeseigenen, zwei konfessionellen und 30 staatlich anerkannten privaten Hochschulen arbeiten und studieren in Berlin mehr als 250.000 Männer und Frauen. Dazu kommen 70 außeruniversitäre Forschungsstätten, etwa die Fraunhofer-Gesellschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und die Leibniz-Gemeinschaft sowie das bundeseigene, eingangs erwähnte RKI.
Für Wissenschaft und Wirtschaft gleichermaßen interessant ist das geplante Zentrum am Nordhafen: Dort errichten die Hochschulmediziner der Charité gemeinsam mit den Pharma-Forschern des Bayer-Konzerns ein Zentrum für Gen- und Zelltherapie. Als Hotspot für Medizintechnik, Life-Science und Pharma gilt zudem der Biotech-Park in Buch, wo auch das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin sitzt.
„Die Abläufe in Deutschland sind oft langwierig, in der Wissenschaft gibt es zahlreiche Hierarchien“, sagt der Brite. „Doch in vielen Ländern der Welt herrscht ein Grundvertrauen in deutsche Stellen, weil es hier ein ernsthaftes Bekenntnis zum Multilateralismus gibt.“
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