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Berlin: Wie der Atheist einen Bischof korrekt anspricht

Im Berlin Capital Club lernen die Nachfahren der 68er gutes Benehmen

Von Elisabeth Binder

Warum-Fragen bringen einen auf diesem Gebiet nicht unbedingt weiter: Warum darf man in Asien seinen Teller niemals leer essen? (Weil der Gastgeber sonst sein Gesicht verliert). Warum siezen in Korea selbst in einer Fußballmannschaft die Jüngeren die Älteren? (Respekt gehört zur Kultur). Warum ist es in Brasilien durchaus höflich, bis zu einer Stunde zu spät zu kommen? Warum muss der Ehrengast in China immer so gesetzt werden, dass er zur Tür gucken kann?

Man sollte denken, die gut situierten Mitglieder des Berlin Capital Clubs bräuchten sich mit solchen Fragen nicht mehr auseinanderzu setzen. Dennoch war die Veranstaltung „Stil und Etikette“ mit dem Kölner Psychologen Peter Wolfgang Klose überdurchschnittlich gut besucht. Vor allem jüngere Mitglieder hatten sich eingefunden. Für Klose, Inhaber der Firma IQ Europäisches Institut für Qualitätsmanagement, ist das die Opfer-Generation. „Die 68er haben ihren Kindern Benehmen nicht beigebracht, also konnten die es wiederum auch nicht weitergeben.“ Die interessierten Nachfahren sehen zwar, dass viele starre Formeln von einst nicht mehr gelten, dafür hat die Globalisierung Bedarf an der Kenntnis anderer komplizierter Formen geschaffen. Nicht jede davon hält einer „Warum-Frage stand“, aber Regelverletzungen können die gute Stimmung zerstören, die es zum erfolgreichen Geschäftsabschluss braucht. Wer in China seine Stäbchen senkrecht in den Reis steckt, wählt damit das Symbol einer Opfergabe für die Toten und wird seinen Gastgebern sicher nicht sympathischer. Araber wiederum finden es ganz abstoßend, wenn jemand mit der linken Hand isst.

Wer bezahlt ein Essen? Muss man E-Mails wirklich förmlich anfangen und beenden? Darüber wurde heftig diskutiert. Dass bei Geschäftsverhandlungen Frauen nicht zu schmuckbehangen und Männer nicht zu stark parfümiert auftreten, ist klar. Aber wer weiß schon, dass man in England zum Geschäftsabschluss einen Zweireiher trägt, während in den USA der Einreiher Vater des Erfolges ist? Umgangsformen passen sich den Zeiten an, da ist es gut, sie gelegentlich ein bisschen aufzufrischen. Dass die Damen nicht mehr sitzen bleiben, wenn sie von Herren begrüßt werden, war auch manchen der Seminarteilnehmer nicht bekannt. Eigentlich aber einleuchtend: Warum sollte man zu den Kerlen auch aufschauen? Gute Wünsche wie „Gesundheit“ oder „Mahlzeit“ sind ebenfalls von gestern. Dass man benutzte Servietten nicht auf, sondern neben den Teller legt, ist selbstverständlich. Aber an welche Seite? Darüber können ernsthaft Interessierte schon mal eine ganze Weile reden, bevor sie sich auf die linke einigen.

Wenn mehr als sieben Leute am Tisch sitzen, darf man in Schweden der Hausfrau nicht zuprosten, das gilt als eindeutiges Angebot. Bei weniger als sieben Leuten entwickelt sich das Prosten wieder zu einer Geste der Unschuld zurück. So mancher Stoff fiel schon ins Kuriositätenfach, auch bei den ernsthafteren Fragen. Wer kommt schon in die Situation wissen zu müssen, ob man den Bremer Bürgermeister nur in einer Ansprache mit „Magnifizenz“ anzureden hat oder auch im persönlichen Umgang. Dass ein Protestant einen katholischen Bischof mit Exzellenz anredet, während der Katholik Eminenz sagt, war den meisten klar. Was aber sagt ein Atheist? („Exzellenz“).

Laster können auch Heroen des guten Benehmens an ihre Grenzen treiben. Sehr engagiert wurde die Frage diskutiert, wie man seinen Gästen auf die feine Art beibringt, dass sie sich in einem Nichtraucherhaushalt befinden. Das Qualmen schlicht zu verbieten, gilt nämlich als unhöflich, aber man kann sich ja viel überdeutliche Mühe mit der Suche nach dem Aschenbecher geben. Auch das Verabschieden von Gästen, die einfach nicht mitbekommen wollen, dass die Party langsam zu Ende ist, gilt als Kunst, für die es wenige Anleitungen gibt. Glückliche Finnen. Dort geht man auf jeden Fall um Mitternacht. Am Ende musste der Vortragende seine ganze Kunst selbst von der Theorie in die Praxis umsetzen, um dem Auditorium klar zu machen, dass die Veranstaltung schon doppelt so viel Zeit verschlungen hatte, wie ursprünglich veranschlagt war. Warum so viel Interesse an der Etikette? Ob die schlechten Zeiten allein als Antwort taugen, bleibt zu ergründen.

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