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Nur selten können Frauen Führungspositionen besetzen.

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Live-Interview der Berliner Wirtschaft: Wie kommen mehr Frauen an die Spitze?

Der Job-Privat-Spagat bremst Frauen oft noch aus. Senatorin Dilek Kolat (SPD), Zapf-Vorstand Sven Reinholz und Baulobbyistin Manja Schreiner wollen das ändern.

Frau Kolat, gemeinsam mit der IHK und der Handwerkskammer haben Sie die dreijährige Kampagne „Gleichstellung gewinnt – Kulturwandel in Unternehmen“ initiiert. Es geht um flexible Arbeitszeiten, Equal Pay und mehr Frauen in Führungspositionen. Was wollen Sie erreichen?

Kolat: Ich habe meine politische Sozialisation in einer feministischen Frauengruppe begonnen und bin von der Notwendigkeit dieses Themas überzeugt. Gleichstellung ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Jeder kann einen Beitrag dafür leisten. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat muss die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung fördern. So steht es im Grundgesetz. Und das ist meine Aufgabe als Gleichstellungssenatorin. Auch die Berliner Wirtschaft sieht Handlungsbedarf. Die Kampagne ist sehr praxisbezogen. Die Unternehmen sollen in einem Netzwerk voneinander lernen. Inzwischen haben 70 Unternehmen die Charta unterzeichnet.

Senatorin Dilek Kolat (SPD).
Senatorin Dilek Kolat (SPD).

© Kai-Uwe Heinrich

Zu den Unterzeichnern gehören auch die Zapf Umzüge AG und die Fachgemeinschaft Bau – ein Unternehmen und ein Verband aus männerdominierten Branchen also ...

Reinholz: Genau deshalb sind wir dabei und wollen Flagge zeigen! Wir haben gute Erfahrungen gemacht mit Frauen in unserer Kfz–Werkstatt, der Tischlerei, im Lager und auch beim Ein- und Auspacken auf den Umzügen. Wir würden uns viel mehr weibliche Bewerber wünschen.

Schreiner: Unser Präsident, Klaus-Dieter Müller, hat die Charta unterzeichnet und will ein Zeichen setzen auch für die von uns betreuten 900 Betriebe.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Unternehmenskultur in Ihren Branchen?

Schreiner: Ich bin seit Anfang des Jahres Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau und bin überaus positiv aufgenommen worden. Und ich habe während meiner Karriere in männerdominierten Bereichen gearbeitet. Angefangen habe ich bei Aida Cruises und dort die Rechtsabteilung aufgebaut.

Reinholz: Zapf-Gründer Klaus Zapf war immer davon überzeugt, mehr Frauen einzustellen. Im kaufmännischen Bereich arbeiten rund 50 Prozent Frauen. Im gewerblichen Bereich ist das deutlich weniger. Aber wir würden gern mehr Frauen einstellen. Sie müssen ja nicht unbedingt Klaviere schleppen.

Frau Schreiner, bei der Sozialkasse des Berliner Baugewerbes sind 18 000 Beschäftigte gemeldet. Von ihren 900 Mitgliedern werden zehn Prozent von Frauen geführt. Wie wollen Sie Ihre Mitglieder von Gleichstellung überzeugen?

Schreiner: Wir besuchen ja viele Unternehmen. Allerdings komme ich nicht recht weiter, wenn ich nur mit dem Begriff Gleichstellung werbe, weil es nur wenige Frauen am Bau gibt. Aber ich spreche über Unternehmens- und Führungskultur. Und da stoße ich auf große Akzeptanz für das Thema.

Baulobbyistin Manja Schreiner.
Baulobbyistin Manja Schreiner.

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Frau Kolat, von den 709 Mitgliedern im Bundestag sind nur 218 Frauen, eine Quote von nur rund 31 Prozent. Im Abgeordnetenhaus sind nur 53 von 160 Abgeordneten Frauen. Das ist eine Quote von rund 33 Prozent. Sie sind für ein Paritégesetz, also eine Frauenquote in Parlamenten, Ämtern und Gremien wie in Frankreich. Was erhoffen Sie sich davon?

Kolat: Gleichstellung ist kein Selbstläufer. Wir leben in einer repräsentativen Demokratie. Das bedeutet, dass die Parlamente die Bevölkerung repräsentieren. Und wenn die Hälfte der Bevölkerung, die Frauen, nicht abgebildet werden, müssen wir das ändern. Die SPD, meine Partei, hat eine Geschlechterquote. Das ist bei der Listenaufstellung wichtig. Aber es gibt auch andere Parteien, die von Gender-Wahn und dergleichen sprechen. Deshalb müssen wir gesetzlich regeln, dass mehr Frauen im Parlament vertreten sind. Rot-Rot-Grün will das prüfen.

Ein Thema der Kampagne sind flexible Arbeitszeitmodelle für die Beschäftigten. Wie setzen Sie das zum Beispiel bei Umzügen um, wo man die Arbeitszeit nicht genau planen kann?
Reinholz: Jeder kennt Unwägbarkeiten wie einen Fahrstuhl, der genau während des Umzugs ausfällt. Wir sind flexibel und müssen unter Umständen Personal nachordern. Umzüge mit Ein- und Auspacken werden über mehrere Tage geplant.

Das Hauptgeschäft macht Ihre Branche im Sommer, wenn viele Arbeitnehmer auch Urlaub machen wollen. Wie regeln Sie das?

Reinholz: Wir bieten eine Kinderbetreuung namens „Zapf Kids“ in Kooperation mit einem Ferienlager in Brandenburg an. Wir übernehmen rund 75 Prozent der Kosten für eine Woche Betreuung. Das kommt gut bei uns in der Firma an.

Was ist mit flexiblen Arbeitszeitmodellen?

Nur selten können Frauen Führungspositionen besetzen.
Nur selten können Frauen Führungspositionen besetzen.

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Frau Schreiner, viele Ihrer Mitgliedsunternehmen sind Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Beschäftigten. Kann man in der Baubranche mit dem Zeit- und Kostendruck überhaupt flexible Arbeitszeitmodelle einführen?

Schreiner: Stimmt, wir haben überwiegend Klein- und Mittelständler. Im Bauhauptgewerbe haben wir in Berlin nur 75 Frauen auf den Baustellen, darunter einige Zimmerleute oder Stuckateurinnen. Und das hat auch mit der schweren körperlichen Arbeit zu tun. Wir sprechen aber mit den Bauleiterinnen, haben Kontakte zu den Studiengängen, um weiblichen Führungsnachwuchs zu generieren. Von den 263 Absolventen in der Hochschule für Wirtschaft und Recht waren 87 Frauen. Das sind künftige Geschäftsführerinnen oder Bauleiterinnen. Natürlich spielen flexible Arbeitszeiten insbesondere im kaufmännischen Bereich eine Rolle. Aber es ist schwer, sie auf Baustellen umzusetzen. In vielen kleinen Unternehmen herrscht eine familiäre Atmosphäre. Und da nimmt man natürlich Rücksicht auf die Bedürfnisse der Beschäftigten und organisiert individuelle Lösungen.

Kolat: Frauen und Männer, die selbst Kinder haben, wollen Beruf und Familie vereinbaren. Das ist auch in der Politik so. Der Trend ist deutlich, dass immer mehr berufstätige Väter Elternzeit oder Zeit für Familie beanspruchen. Männer und Frauen übernehmen partnerschaftlich diese Aufgabe. Ich plädiere für die gesetzliche Einführung der Familienarbeitszeit, in der Eltern ihre Arbeitszeit in einem Wochenstunden-Korridor wählen können und in der Zeit auch staatliche Unterstützung erhalten. Und Führungskräfte müssen darin geschult werden, welche Arbeitszeitmodelle es gibt, und sie auch anbieten. Es muss ihnen um die Zufriedenheit der Beschäftigten gehen. Das hat etwas mit Unternehmenskultur zu tun.

Was halten Sie von der Brückenteilzeit für Betriebe ab 45 Mitarbeitern, also die gesetzliche Möglichkeit, wieder von der Teilzeit in die Vollzeit zu wechseln?

Schreiner: Wir haben nicht so viele wirklich große Unternehmen, sodass die gesetzliche Verpflichtung für viele keine besondere Bedeutung hat. Am Ende kommt es im betrieblichen Alltag immer auf Planungssicherheit an, und die erreichen unsere Unternehmer schon heute durch individuelle Vereinbarungen.

Reinholz: Der Arbeitnehmer muss sich wohlfühlen. Und wenn er die Brückenteilzeit beantragt, dann erhält er diese auch. Wir sind ein Unternehmen von 250 Mitarbeitern in Berlin. Und wir legen Wert auf eine gute Zusammenarbeit untereinander.

Kolat: Ich habe die Debatte über dieses Gesetz nicht verstanden. Es hat Jahre gedauert, bis das Gesetz verabschiedet wurde. Als Arbeitgeber muss ich doch Interesse daran haben, dass Arbeitnehmer in Zeiten des Fachkräftemangels wieder Vollzeit arbeiten wollen. Es gibt auch Zeiten, in denen man zum Beispiel einen Angehörigen pflegen und seine Arbeitszeit reduzieren muss. Diese Möglichkeit gehört zu einer guten Unternehmenskultur – ohne dass der Beschäftigte davon berufliche Nachteile hat.

Zapf-Vorstand Sven Reinholz.
Zapf-Vorstand Sven Reinholz.

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Zu einer guten Unternehmenskultur gehört auch, den Gender-Pay-Gap auszugleichen. Der Unterschied im Bruttoverdienst von Mann und Frau bei gleicher Arbeit liegt im Bund bei 21 Prozent, in Berlin bei 13 Prozent. Woran liegt das?

Kolat: Wir können in Zeiten des Fachkräftemangels nicht hinnehmen, dass Frauen für gleiche Tätigkeiten weniger Geld als Männer verdienen. Viele junge Frauen entscheiden sich für Berufe, in denen weniger verdient wird. Junge Männer orientieren sich vor Einstieg in den Beruf stärker am künftigen Gehalt. In der Industrie verdient man mehr Geld als in der Pflege. Aber in der Pflege braucht man Fachwissen, Empathie im Umgang mit Menschen, und man hat eine psychische und physische Belastung. Hier muss das Gehalt deutlich nach oben korrigiert werden. Mit dieser Kampagne will ich Unternehmen ansprechen, die garantieren, dass Männer und Frauen den gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten.

Reinholz: Die Zapf AG zahlt bei gleicher Arbeit Mann und Frau das gleiche Gehalt.

Schreiner: Wir haben keine Statistik. Kein Mitgliedsunternehmen würde freiwillig sagen, dass es Frauen weniger zahlt als Männern. Ich gehe davon aus, dass das in unseren Unternehmen keine gängige Praxis ist. Durch diese Kampagne wollen wir aber die Sensibilität für dieses Thema erhöhen und Unternehmen auf freiwilliger Basis auch zum Umdenken auffordern. Dass Frauen das bei ihren Vorgesetzten einfordern, ist für mich selbstverständlich. Man sollte nicht darauf warten, dass eine Angleichung der Gehälter irgendwann passiert.

In den östlichen Bundesländern werden Frauen bei gleicher Arbeit im Vergleich zu Männern besser bezahlt als in den westlichen Bundesländern. Auch der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist im Osten mit 44 Prozent größer als im Westen mit 27 Prozent. Wie wollen Sie Unternehmen überzeugen, mehr Frauen an die Spitze zu bringen?

Kolat: Die gläserne Decke gibt es, das haben viele Frauen schon gespürt. Aber auch hier gilt es eine Unternehmenskultur zu etablieren, in der Frauen in Führungspositionen völlig normal sind. Für moderne Unternehmen muss es selbstverständlich sein, dass Frauen an der Spitze sind.

Schreiner: Ich habe in Unternehmen gearbeitet, wo ich als Mutter die einzige Vollzeitkraft war. Das, was für uns in der Familie völlig normal ist, sollte auch für Unternehmen gelten. Und es ist natürlich schon positiv, wenn ein moderne Rollenverteilung in der Familie vorgelebt wird.

Laut Weltwirtschaftsforum werden Frauen und Männer erst in 217 Jahren die gleichen Chancen haben, wenn das Reformtempo so bleibt wie bisher ...

Reinholz: Das Thema Gleichstellung zeigt mir, dass es häufig noch die Schranke im Kopf gibt. Aber das bringt mir als Unternehmer oder als Staat überhaupt keinen Nutzen. Worum es geht, ist, diese Schranke zu überwinden und jedem vorurteilsfrei gegenüberzustehen. Ansonsten schaden wir uns selbst.

Das Gespräch führte Sabine Beikler bei einem Live-Interview der „Berliner Wirtschaft“ am 22. November.

Dilek Kolat, 51, ist Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung. Die SPD-Politikerin hat die Kampagne „Gleichstellung gewinnt – Kulturwandel in Unternehmen“ initiiert.

Sven Reinholz, 32, ist seit 16 Jahren bei der Zapf Umzüge AG beschäftigt. Seit 2015 ist er Vorstand des von Klaus Zapf 1975 gegründeten Berliner Unternehmens.

Manja Schreiner, 40, ist seit Anfang 2018 Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau in Berlin und Brandenburg. Die Juristin begann ihre berufliche Karriere bei Aida Cruises.

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