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Berlin: Wie man sich die Straße teilt

Allein oder in der Gruppe: Die Marathon-Teilnehmer haben so ihre eigenen Strategien, wie sie die Strecke am schönsten durchleiden– Profis wie Anfänger

Jemand, der gut in Form ist und einem Druck macht, hilft immer. „Das ist gut für die eigene Leistung.“ Aber Freunde? Nein. „Freunde kann es in keinem Rennen geben.“ Der das sagt, sollte es wissen: Felix Limo, Kenianer, 24 Jahre alt, er wird den Berlin-Marathon gewinnen. Aber das weiß Thomas Seneca kurz vor dem Rennen natürlich noch nicht.

Seneca und Limo haben nichts gemeinsam, eigentlich. Seneca, 32 Jahre alt, aus Kopenhagen, ist nicht Weltklasse, sondern ein Hobbyläufer. Der Berlin-Marathon ist sein drittes Rennen, seine Bestzeit liegt bei knapp drei Stunden. Zudem darf man davon ausgehen, dass Limo sich nach einem strengen Plan ernährt – was Seneca nicht tut, wie er sagt. Aber: Seneca sieht den Sinn eines Marathons ähnlich wie Limo. „Ich bin zwar mit meinen Freunden hier in Berlin. Wir trainieren oft zusammen, aber im Rennen, da gibt jeder, was er kann. Wir kommen nie zusammen im Ziel an.“ Auch dieses Mal konzentriert sich Seneca nur auf sich selbst. Als er auf dem letzten Kilometer über den Pariser Platz läuft, liegt seine Freundin Anette Haaning, 31, weit hinter ihm im Feld zurück. Damit niemand auf falsche Gedanken kommt: die Freunde aus der Laufgruppe auch.

Laufen zum Spaß, aber denken wie die Spitzensportler. So gehen auch Gerald Hehn, 46, und Markus Dankowski, 35, ihren Lauf an. Ingenieur der eine, Sozialversicherungsangestellter der andere. Beide aus Nürnberg, beide ehrgeizig. „Wir laufen in letzter Zeit jedes Jahr in Berlin. Und wir wollen uns immer verbessern“, sagt Dankowski. Hehn sagt: „Wir laufen gemeinsam los, aber wenn einer besser drauf ist, dann geht er vorneweg. Freund hin oder her. Wir machen das auch fürs Ego.“ Hehn ist besser an diesem Tag. Dankowski muss abreißen lassen. Er kommt nach etwas mehr als dreieinhalb Stunden ins Ziel – eine Viertelstunde nach Hehn.

Diejenigen, die sich fest vornehmen, während des Rennens in einer Gruppe zusammen zu bleiben, und das auch tun, sind entweder Lustläufer oder Teilnehmer in einer anderen Disziplin.

Timo Koch, 28, und Tim Dieudonne, 29, aus der Nähe von Saarbrücken „wollen Spaß haben und die tolle Atmosphäre genießen – und zwar zusammen“. Sie starten in der letzten Gruppe. „Es ist einfacher alleine. Man muss nur auf sich selbst achten. Aber es ist schöner, wenn man das mit einem Freund erlebt.“ Das Erlebnis endet für beide nach 4 Stunden 53 Minuten und 22 Sekunden.

Martin Linek ist auch so jemand, der von sich sagt, er laufe Marathon ohne jeden Ehrgeiz. Was so aber nicht ganz stimmt. Seine Strategie: Alleine loslaufen, dann mal sehen, mit wem man sich unterwegs so unterhalten kann. „Ich will während jedem Rennen mindestens 15 oder 20 andere Läufer kennen lernen. Meistens klappt das auch.“

Die Handbiker dagegen können sich schlecht vorstellen, dass sie ihren Kollegen schon früh im Rennen davonfahren. „Bei den Läufern mag das gehen, dass sich einer nach der Hälfte des Rennens absetzt und einen Alleingang wagt. Im Handbike hast du so keine Chance“, sagt der Dresdner Steffen Scholz. Das Handbike ist eine Art tief liegender Rollstuhl, angetrieben von Hand, über eine Kurbel vor der Brust. Die Handbiker starten in diesem Jahr zum ersten Mal beim Berlin-Marathon. Scholz vergleicht die Renntaktik mit der der Straßenradfahrer. Norbert Schiller auch. Wie Scholz ist der Heidelberger im vorderen Mittelfeld ins Ziel gekommen. „Das ist ein Teamsport. Du brauchst Leute, die für die Kollegen mitarbeiten, die abwechselnd die Führung übernehmen und in deren Windschatten du fahren kannst.“ Erst auf der Zielgeraden beginne der Egoismus. „Beim Sprint kann jeder an sich denken, wenn er sich stark genug fühlt.“

Der beste Läufer an diesem Tag hatte keinen Freund im Feld, er ist in einer Zweckgemeinschaft mit einem gelaufen, der ihn zu einer guten Leistung angetrieben hat: sein Landmann Joseph Riri. Riri unterbot seine persönliche Bestzeit um zehn Minuten. Limo und Riri sind dem Feld ziemlich früh davongelaufen. Auf der Zielgeraden kurz vor dem Brandenburger Tor hat Limo Riri abgehängt.

Marc Neller

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