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In OMAS ZEITung (24): Wittenbergplatz

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: Ein U-Bahnhof wird zu neuem Leben erweckt.

Auch ein profaner U-Bahnhof hat manchmal ein bisschen Poesie verdient. Zumindest scheint das meine Oma Thea im Oktober 1951 zu denken, als sie einen kleinen Einspalter in der „Neuen Zeitung“ verfasst. „Als vor einiger Zeit die Schuhspitzen der treppauf hastenden Fahrgäste, die dem von Kriegswunden klaffenden U-Bahnhof Wittenbergplatz wenig Beachtung schenkten, plötzlich gegen Emailleschilder des KadeWe stießen, horchten die Berliner auf“, schreibt sie. „Blechern klangen die Töne zwar, aber es waren doch endlich wieder Töne in der jahrelang so toten Gegend.“ Nicht nur der Tauentzien und das im Krieg durch ein abgestürztes US-Kampfflugzeug zerstörte Kaufhaus des Westens erwachen 1951 zu neuem Leben, auch der U-Bahnhof Wittenbergplatz ist wieder aufgebaut. Laut meiner Oma „schöner denn je“.

Hell und freundlich präsentiert sich die neue Eingangshalle, heißt es in dem Artikel, „Kioske und bunte Reklameflächen beleben den Raum“. Um ehrlich zu sein: Ich habe dem Bahnhof bislang wenig Beachtung geschenkt. Mit dem Artikel im Kopf habe ich mich jetzt aber ein bisschen umgeschaut. Heute, im Sommer 2015, präsentiert er sich mit einer seltsamen Mischung. Auf alt getrimmte Schilder werben für Pfennigs Feinkost, das Café Möhring, den Tagesspiegel („Gründlich, sachlich, kritisch“), oder Möbel Olfe – jenen Möbelladen am Kottbusser Tor, der längst zur weltberühmten Backpacker-Hipster-Trinkhalle geworden ist. Daneben hängen die Plakate einer Sushi Lounge und eines afrikanischen Restaurants in Prenzlauer Berg, ein holzgetäfelter Kiosk verkauft Nudelpfanne und Bubble Tea. Ein BVG-Mitarbeiter weist einem Touristen barsch den Weg: „You have to go Kaiserdamm.“

Laut dem Artikel meiner Oma zählt der Bahnhof „zu den Veteranen der U-Bahnstationen“, auch heute noch hat er eine besondere Ausstrahlung. Für mich gibt es aber U-Bahnhöfe in Berlin – Stationen wie Blissestraße, Spittelmarkt, Gneisenaustraße, Sophie-Charlotte-Platz oder der S-Bahnhof Bellevue –, die mir wesentlich mehr bedeuten, weil ich dort mehr Zeit verbracht habe. Aber auch der Wittenbergplatz war früher ein täglicher Teil meines Lebens: Auf dem Weg von meiner Kreuzberger WG zur Freien Universität bin ich hier immer umgestiegen, vom M29er in die U3. Zwischen Heidelberger Platz und Dahlem-Dorf stieg immer derselbe traurige chilenische Musiker zu, spielte schüchtern Gitarre und sang leise irgendwas mit „corazón“. Nach meinen Proseminaren und Vorlesungen bin ich dann auf dem Rückweg den Unterschriftensammlern auf dem Wittenbergplatz ausgewichen, habe mir eine Currywurst vor dem KaDeWe gekauft und bin mit dem M29er nach Hause gezuckelt.

Von Poesie war dabei keine Spur. Dank meiner Oma weiß ich den U-Bahnhof Wittenbergplatz jetzt aber zu schätzen. Für mich ist er – wie sie schreibt – schöner denn je.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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